You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
Fabrik vergeuden sollten, er wollte auch um jeden Preis verhindern, dass wir uns mit den Gangs einließen – und damit womöglich unseren (und seinen) Traum ruinierten. 1970 sagte er in einem Zeitungsinterview: „In unserem Viertel kamen viele Kids auf die schiefe Bahn, und wir waren der Ansicht, dass es für die Familie sehr wichtig sei, andere Beschäftigungen für unsere Kinder zu finden, um sie von der Straße und den Versuchungen der modernen Zeit fernzuhalten.“
Die Anwerber der Gangs stürzten sich vor allem auf Jugendliche, die leicht zu beeindrucken waren (und das waren wir alle). In einer Stadt mit hoher Scheidungsrate, in denen Kinder vielfach keinen Respekt vor ihren Vätern hatten, bot die Zugehörigkeit zu einer Gang eine Art Ersatzfamilie und die Möglichkeit, sich die Liebe seiner „Brüder“ zu verdienen. Genau davor hatte Joseph Angst, und natürlich auch davor, dass uns etwas Schlimmes zustoßen würde. Seine Sorgen bekamen neue Nahrung, als Tito auf dem Weg von der Schule abgepasst und mit vorgehaltener Waffe gezwungen wurde, sein Essensgeld herauszugeben. Wir erfuhren davon, als er ins Haus gestürmt kam und schrie, ein anderer Junge habe versucht, ihn umzubringen.
Joseph traf nun seine eigenen Maßnahmen. Zum einen sorgte er dafür, dass wir eine Aufgabe hatten, nämlich die ständigen Proben. Dadurch waren wir gezwungen, sofort nach der Schule nach Hause zu kommen, und hatten keine Zeit, draußen zu spielen. Und zum anderen wurde Joseph zu einem Menschen, den wir mehr fürchteten als alles andere. Indem er sich zum Haustyrannen entwickelte, verhinderte er, dass wir uns von den Tyrannen der Straße einschüchtern ließen. Das funktionierte auch; wir hatten vor ihm wesentlich mehr Angst als vor irgendwelchen Gang-Mitgliedern. Michael hat einmal gesagt, dass Joseph am Anfang recht viel Geduld mit uns hatte, später dann aber immer strenger wurde, und das geschah just zu der Zeit, als die Gang-Kriminalität immer weiter anstieg. Während unserer Kindheit wurden wir dazu angehalten, mit unseren Geschwistern zu spielen; nie durften wir bei irgendwelchen Freunden übernachten. Außer Bernard Gross und Johnny Ray Nelson von nebenan kannten wir andere Kinder eigentlich nur aus der Schule.
„Die Außenwelt hereinlassen“, wie Mutter das nannte, brachte einige Gefahren mit sich, weil niemand wissen konnte, was ein Kind aus einer anderen Familie an schlechten Gedanken, schlechten Angewohnheiten und häuslichem Ärger mit sich bringen mochte. „Eure besten Freunde sind eure Brüder“, pflegte sie zu sagen.
Nach unserem Verständnis waren „Außenstehende“ allesamt Menschen, denen nicht recht zu trauen war, und wenn man so aufwächst, dann gibt es darauf nur zwei Reaktionsmöglichkeiten: Man wird entweder sehr vorsichtig und misstraut jedem, der nicht zur Familie gehört, oder man verfällt ins andere Extrem und lässt jeden an sich heran, um die Einschränkungen der Vergangenheit zu vergessen.
Nachdem die Bedrohung durch die Gangs immer mehr zum Problem wurde, hielten unsere Eltern uns noch mehr im Haus; wir wurden sogar für den letzten Tag im Schuljahr entschuldigt, weil das traditionell der Termin war, an dem unter den Kindern Rechnungen beglichen wurden. Joseph dachte darüber nach, mit uns nach Seattle zu ziehen, weil es dort angeblich sicherer war. Unter seinem Regime sahen wir zwar vielleicht manchmal Sterne, wenn er unsere Hinterteile mit einem Ledergürtel, der Rute oder manchmal auch dem kaputten Kabel des Bügeleisens verdrosch, aber Messer, Schusswaffen, Schlagringe, Polizeiwachen oder die Notaufnahmen der Krankenhäuser blieben uns erspart. Joseph tat vermutlich, was er im Licht der damaligen Zeit und der damaligen Umstände für das Beste hielt.
Tito und ich nahmen auf dem Weg zu unserer neuen Schule, der Beckman Middle, oft eine Abkürzung über ein Stück unbebautes Land, das sich zwischen unserem Haus und der Delaney-Siedlung befand, wo sich die Gangs zusammenrotteten. Eines Tages sahen wir einen Polizisten, der neben einem großen Blutfleck stand, der sich im Schnee ausgebreitet hatte. Wir fragten, was passiert sei, und bekamen zur Antwort, dass wir das wohl nicht wirklich wissen wollten. Aber wie Kinder nun einmal sind, ließen wir ihm keine Ruhe. Also bot er uns ein ungewöhnliches Wort an, um der Sache die Härte zu nehmen. Zu Hause fragten wir, was „enthauptet“ bedeutete. Jemand war „enthauptet“ worden. Mutter war völlig entsetzt, ebenso wie ein paar Wochen
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