You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
Schaltzentrale, Hitsville USA, hatte umbauen lassen. Es war nichts Besonderes und sah nicht gerade überwältigend aus, aber es war das Epizentrum des Motown-Sounds und verbreitete schon allein deswegen ein magisches Gefühl. Die vorab aufgezeichneten Arrangements spielte die hauseigene Rhythmusgruppe ein, die Funk Brothers – die wenig beachteten Helden hinter dem Motown-Sound, das dynamische Musikerteam, das alles kreiert hatte, was uns von diesem Label je zu Ohren gekommen war. Wir konnten gar nicht glauben, dass sie nun mit uns zusammenarbeiteten. Es war, als seien wir in das kleine Radio gesprungen, das zu Hause auf unserer Anrichte stand.
Nachdem wir im Sommer und Frühherbst jede Menge Aufnahmen gemacht hatten, ging das Leben erst einmal wieder normal weiter, und für uns alle begann ein neues Schuljahr. Zwischen August 1968 und März 1969 schien es nicht recht voranzugehen, und daher probten wir weiter und traten wie zuvor an den vertrauten Veranstaltungsorten auf – im Apollo, im Guys And Gals und im High Chaparral, damit wir zumindest bei uns in der Gegend weiter im Gespräch blieben, wenn sich schon sonst nichts groß tat.
Ausgerechnet Mutter war dann die Erste, die unruhig wurde. „Bist du sicher, dass diese Motown-Leute wirklich tun, was sie versprochen haben, Joe?“
Er beschwor sie, Geduld zu haben und der Vereinbarung zu vertrauen. Es waren noch verschiedene juristische Kleinigkeiten mit Steeltown Records zu klären, und Motown war dabei, eine Zweigstelle in Los Angeles einzurichten. Alle großen Plattenfirmen orientierten sich Ende der Sechziger in Richtung Westküste, und Joseph konnte den Erfolg beinahe schon riechen. „Wir gehen nach Hollywood, Jungs. Da bin ich mir sicher“, sagte er und zwinkerte.
Wie sich bald herausstellte, gingen wir ohne Rebbie. Im November 1968 heiratete sie Nathaniel Brown, ebenfalls ein Zeuge Jehovas, und erklärte, sie werde mit ihm nach Kentucky ziehen. Joseph tobte, Mutter war todtraurig. Für unsere Eltern war es nicht leicht zu akzeptieren, dass Rebbie die Familie verließ; sie hatten sich immer mehr darauf versteift, uns alle stets zusammenzuhalten, und nun wollten ihre Kinder eigene Wege gehen. Rebbie wiederum konnte nicht verstehen, wieso sie sich angesichts ihres Glücks nicht mit ihr freuten, aber ich vermute, dass Joseph merkte, wie ihm die Zügel aus der Hand glitten. Oder erinnerte ihn Rebbies Abschied an den Verlust seiner Schwester Verna-Mae? Jedenfalls weigerte er sich, bei ihrer Hochzeit den Brautführer zu geben. Diese Aufgabe übernahm daraufhin Papa Samuel.
Rebbie traf dabei besonders hart, dass Joseph sich auch nicht darum kümmerte, dass wir bei dieser Feier dabei sein konnten: Für ihn war ein Auftritt im Regal Theater wichtiger. Ich habe nie verstanden, wie Joseph das mit seinem Leitspruch vereinbarte, dass ihm die Familie über alles ging.
Inzwischen wollte auch Randy, der damals sechs oder sieben war, dass sein Talent beachtet wurde. Immer wieder hatte er erlebt, dass wir anderen fünf an den Abenden und Wochenenden unterwegs waren und er als einziger Junge zu Hause bleiben musste. Er orientierte sich an unserem Vorbild. Ähnlich wie Marlon war auch er von großer Entschlossenheit getrieben, und als Joseph ihm ein Paar Bongos gab, übte er Tag und Nacht. „Hör mal, Joseph! Hör doch mal!“, rief er, wenn wir wieder nach Hause kamen.
„Mach mal schön weiter“, antwortete Joseph dann, „ich sag dir schon Bescheid, wenn du so weit bist.“
Randy war immer wieder davon überzeugt, dass er so weit sei. In der Schule lernte er Gitarre und Klavier zu spielen. Eines Tages würde auch er zu den Jackson 5 gehören, sagte er sich immer wieder. Janet war drei Jahre alt und so niedlich und rehäugig wie Michael, sie trug geflochtene Zöpfchen, ging zum Seilspringen auf die Straße oder saß Randy im Schneidersitz gegenüber und machte Klatschspiele. Aber das sind auch schon ungefähr alle Erinnerungen, die ich an meine kleine Schwester aus der Zeit in Indiana habe: Sie machte sich erst richtig bemerkbar, als unser neues Leben im kalifornischen Süden begann.
Nachdem die Rechtslage mit Motown endlich geklärt und ein neuer Vertrag geschlossen worden war, kam der ersehnte Anruf von Mr. Gordy: Der Umzug nach Los Angeles stand bevor. Unser Traum wurde wahr, wir ließen Gary hinter uns und stiegen wirklich ein in das Geschäft, für das wir bestimmt waren.
Mutter, Randy, La Toya und Janet blieben in Gary, packten Kisten und trafen alle
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