You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
geworden, wie beliebt wir eigentlich waren. Gut, die Plattenverkäufe, Chart-Notierungen, Zeitungsartikel und die Berge von Fanpost hatten das vielleicht angedeutet, und wir waren völlig euphorisch herumgehüpft, weil wir die erste Kindergruppe waren, die mehr als eine Million Schallplatten verkaufte. Aber davon abgesehen hatte es keine direkten Auswirkungen auf unser Leben gehabt, denn Motown hatte uns noch unter Verschluss gehalten; wir hatten unsere Zeit in den fensterlosen Räumen des Aufnahmestudios verbracht und waren erst spätnachts völlig übermüdet mit der Limousine nach Hause gefahren worden. In den Fernsehstudios war der Applaus eher verhalten und kontrolliert.
Auch in der Schule hatte nichts auf die verrückten Zeiten hingedeutet, die uns bevorstanden. Jackie und Tito besuchten inzwischen die Fairfax High, Marlon, La Toya und ich die Bancroft Middle, während Michael zusammen mit Mr. Gordys Sohn Kerry auf die Gardner Elementary ging. Tatsächlich wollten inzwischen alle Kinder mit uns befreundet sein, und manche baten uns sogar um Autogramme: Plötzlich waren wir die „coolen Kids“ aus Indiana. Aber wenn wir nach Schulschluss wieder zu Hause waren, lachten wir darüber eigentlich eher. Erst als wir auf der Bühne standen, wurde uns bewusst, wie die Wirklichkeit aussah, die wir Motown verdankten. „Jungs, ihr gewöhnt euch besser dran!“, sagte Mr. Gordy. „Ich hatte euch doch gesagt, dass die Hölle losbrechen würde!“
Tatsächlich ging es genauso weiter, als wir anschließend im Cow Palace in San Francisco und im Inglewood Forum in Los Angeles spielten. Bei diesem Auftritt brachen wir mit 18.675 Zuschauern den bisherigen Rekord für die Besucherzahl bei einer Showveranstaltung, und wenn man den Zeitungen glauben konnte, sorgten wir für „krawallähnliche Zustände“. Egal, wo wir nun auftraten, es herrschte Chaos. Jemand im Motown-Lager versuchte uns die Reaktion der Fans zu erklären und sagte: „Sie versetzen sich richtig in eure Musik hinein, sie lieben eure Musik und sie glauben, dass ihr ihnen gehört – deswegen rasten sie jedes Mal so aus, wenn ihr irgendwo auftretet.“
Am Anfang kam uns diese Verbindung zwischen uns und den Fans komisch vor, denn wir waren doch keine Stars, wir waren einfach nur fünf Jungen aus Indiana. Dementsprechend verständnislos sahen wir die Mädchen an und dachten: Was ist nur in euch gefahren? Wieso weint ihr so? Wieso brecht ihr zusammen? Wir hatten unsere Idole – Smokey Robinson, die Temptations, Jackie Wilson – doch auch getroffen, ohne dabei völlig hysterisch zu werden. Nach einer Weile gewöhnten wir uns aber daran, denn wenn man tagtäglich mit einer bestimmten Situation konfrontiert wird, dann wird sie irgendwann alltäglich, und wenn sie noch so seltsam ist. Und schließlich wurde genau das, was uns zunächst so befremdet hatte, zu einem ganz besonderen Kitzel, der uns weiter anstachelte. Wir wurden berühmt. Das war etwas, das uns früher nie in den Sinn gekommen war: Über Starruhm hatten wir nie nachgedacht; über diese Art der Verehrung erst recht nicht. Wir hatten lediglich erfolgreich sein wollen. Die Besten. Diese neue Entwicklung vollzog sich schnell und verwirrte uns.
Bei dem Konzert im Forum saßen Papa Samuel und Mutter in der ersten Reihe, neben sich die kleine Janet, die in einer Decke eingerollt schlief. Sie war damals vier Jahre alt und ist vermutlich der einzige Mensch in ganz Amerika, der von sich behaupten kann, einmal ein ganzes Jackson-5-Konzert verschlafen zu haben.
Mutter sagte, sie habe ihren Augen nicht getraut. „Ich sah nur, wie meine Kleinen gejagt wurden und sich verstecken mussten, und ich machte mir solche Sorgen um euch.“ Rebbie kam zu einem unserer Auftritte in Kentucky, und die Hälfte der Zeit beobachtete sie eher die Fans als uns. „Wie können sie denn überhaupt etwas von der Musik hören, wenn sie so kreischen?“, fragte sie verblüfft.
Selbst Joseph war fasziniert von diesem Phänomen. „Das letzte Mal, dass ich miterlebt habe, dass Menschen heulten und in Ohnmacht fielen, war in der Baptistenkirche, die ich als Kind besuchte“, witzelte er. Der Anerkennung so vieler Menschen hatte er nichts entgegenzusetzen.
Während unsere Tour von einem US-Bundesstaat zum nächsten führte, steigerte sich die verrückte Begeisterung der Fans ebenso wie unsere Plattenverkäufe. Im Juni 1970 erschien unsere vierte Single, „I’ll Be There“, die wieder an die Spitze der Charts schoss. Damit waren wir
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