You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
gnadenlos nieder, während wir wieder einmal Fersengeld gaben.
Ich werde nie vergessen, wie es uns gelang, uns unerkannt unter eine riesige Zuschauermenge zu mischen – sicherlich um die 50 000 Menschen –, um uns im L.A. Coliseum ein Footballspiel anzusehen. Jackie war im siebten Himmel, und alles lief bestens, bis der Stadionsprecher sich dazu hinreißen ließ, der Menge zu verraten, dass wir a) im Stadion waren und b) wo wir saßen. Wir sahen einander an, bemerkten, wie die Leute aufstanden und sich zu uns umsahen, und wussten, was jetzt kommen würde. Wie schrieb der Los Angeles Sentinel später so schön: „Die Jackson 5 mussten buchstäblich um ihr Leben laufen …“
Am seltsamsten war es aber, wenn wir zu Hause bei Mutter anriefen und von ihr erfuhren, dass Fans vor dem Haus kampierten, nachdem sie zu Fuß vom Sunset Boulevard herübergelaufen waren.
„Ist bei dir alles okay?“, fragten wir sie.
„Oh ja, alles bestens“, erklärte sie gut gelaunt. „Ich habe sie hereingebeten und ihnen etwas zu trinken angeboten.“
„Warum das denn, Mutter?“
„Nun, es wäre doch wohl sehr unhöflich gewesen, sie einfach so wegzuschicken, oder?“
Janet berichtete uns, dass immer wieder kleine Gruppen von Mädchen am Küchentisch saßen und sich stundenlang bei uns aufhielten, manchmal bis elf Uhr abends, weil Mutter es nicht über sich brachte, „unhöflich“ zu sein und sie zum Gehen aufzufordern. Wir brauchten alle eine Weile, bis wir uns an unsere Berühmtheit gewöhnt hatten. Es herrschte ein ganz anderes Klima als heute, man ging noch völlig anders mit dem „Star-Rummel“ um.
Damals wurde man nicht in erster Linie von den Paparazzi gejagt, die ihre Fotos schießen wollten, sondern von Fans, die es nach einem Stück von ihrem Star verlangte, die uns bis in die Hotels verfolgten und vor unserem Haus warteten. Uns machte das nicht so viel aus, und die Behauptungen, nach denen Michael ständig in Tränen ausbrach, wenn wir wieder einmal von Fans umringt worden waren, sind schlicht nicht wahr. Sicher, die verrückten Verfolgungsjagden waren manchmal schon furchteinflößend, aber Michael genoss die Bewunderung ebenso wie wir alle: Für ihn zeigte sich daran, dass wir unsere Sache gut machten und dass wir geliebt wurden. Es störte ihn lediglich, wenn das Finale unserer Show wieder einmal in der Mitte unterbrochen werden musste oder wir überhaupt nicht so weit kamen, aber er akzeptierte von Anfang an, dass dieser ganze Irrsinn ein Teil des Deals war, den wir mit den Fans schlossen. „Sie sind es doch, die zu den Konzerten kommen und die Platten kaufen“, sagte er. „Sie lassen all das geschehen, nicht Joseph, nicht Motown, und auch nicht wir selbst.“
Er verlor nie den Respekt vor den Fans: Er betrachtete sie als seine zweite Familie, und genau wie wir anderen hatte er eine einzigartige Beziehung zu ihnen. Es war eine Zeit, in der Stars nicht annähernd so unerreichbar waren wie heute. Für ihn waren die Fans so etwas wie entfernte Freunde, die er wirklich liebte und um die er sich kümmerte.
Natürlich gibt es immer Extreme, und manche Fans machten auf seltsame Weise auf sich aufmerksam. Aber es dauerte noch ein bisschen, bevor die Billie Jeans dieser Welt auftauchten.
Wenn wir nach den Shows und der Flucht aus der jeweiligen Halle wieder in unserem Hotelzimmer saßen, schalteten wir den Fernseher an und guckten die Lokalnachrichten. Es war völlig bizarr, sich selbst inmitten all dieses Irrsinns auf der Mattscheibe zu sehen. Und es war einmalig, wie Michael sich selbst bei den kurzen Konzertausschnitten so genau beobachtete, wie er das zuvor mit James Brown oder Sammy Davis Junior getan hatte. Es war der einzige Moment des ganzen Tages, an dem er einmal still war; er beurteilte sich kritisch, sezierte jeden Schritt und fand überall noch etwas, das er hätte besser machen können. Er wusste einfach nicht, wie gut er war. Später schwärmten die Leute von Michael Jackson, dem großen Künstler, der in den Achtzigern durchstartete, aber er war schon in den Siebzigern so weit. Ich weiß es, denn ich stand bei jeder Show neben ihm. Er hatte schon als Junge das gewisse elektrisierende Etwas, und er wusste, wie man die Menschen bewegte. Seine Persönlichkeit, seine Performance und der enorm sichere Gesang sorgten dafür, dass er stets alles im Griff hatte, und wenn er auf der Bühne etwas sagte, dann war er unser Anführer, und nicht unser zwölfjähriger kleiner Bruder. „Alles klar, Leute?“,
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