You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
die erste Gruppe mit vier Nummer-1-Hits in Folge. Im ersten Jahr unserer Karriere verkauften wir weltweit zehn Millionen Singles. Es war damals einfach unglaublich, und rückblickend kann ich es auch heute noch nicht fassen.
Als wir in Boston in den Boston Gardens unser viertes Konzert gaben, hatte Motown die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Wir bekamen ab sofort Polizeischutz vor den Hallen, und Motorrad-Konvois eskortierten uns durch die Städte. Die Hallenbetreiber stellten sicher, dass Einsatzkräfte vor der Bühne und am Aufgang Wache hielten. Bei Soundchecks studierten wir auch gleich eine „Rückzugsstrategie“ ein und probten unseren Abgang wie eine Reihe von Tanzschritten. Die Roadies hatten es nicht gern, wenn ich den Bass einfach so auf den Bühnenboden warf, also lernten Tito und ich, wie man mit einem Bass oder einer Gitarre vor dem Bauch möglichst schnell laufen konnte (ein sperriges Instrument machte die Flucht zur Limousine zur hohen Kunst, das kann ich versichern). Wir Brüder schlossen zudem einen Pakt, um Zeit zu sparen: „Wenn es Zeit zum Abhauen ist, dann ist jeder auf sich allein gestellt. Wartet nicht, guckt euch nicht um, sondern lauft einfach los und versucht zum Auto zu kommen.“ Zu unseren besten Zeiten schafften wir den irren Sprint von der Bühne zur Limousine, egal ob am regulären Ende einer Show oder dann, wenn wir wieder einmal vorzeitig abbrechen mussten, in dreißig Sekunden.
Vor allem den Anfang der Konzerte, wenn sich die Spannung allmählich aufbaute, kosteten wir genüsslich aus: Hinter der Bühne bildeten wir einen Kreis, legten in der Mitte unsere Hände aufeinander und schworen uns, „da rauszugehen und sie fertigzumachen“. Dann wurde die Arena in Dunkelheit getaucht, und die Menge begann zu kreischen. Im Dunkeln nahmen wir unsere Positionen an den Mikrofonen ein, die Köpfe gesenkt, und sogen die Energie in uns auf, die von der Menge ausging. Wir fühlten alles, wir sahen nichts. Johnny gab die ersten Takte von „Stand!“ vor. Dann setzte Ronny mit den Keyboards ein. Die Scheinwerfer flammten auf, und der Wahnsinn brach los.
Von der Bühne aus gesehen war es ein unvergessliches Spektakel, wie die Fans nach vorn stürmten. Wer in einer der Reihen saß, die dieser Stampede im Weg standen, ergriff am besten die Flucht, um nicht niedergetrampelt zu werden. Von Michaels Position ganz vorn an der Bühne aus wirkte das Ganze wie eine optische Täuschung, sagte er – „als würden die Wände einstürzen und alles in der Mitte zusammenrutschen“. Wir sahen, wie Mädchen miteinander kämpften und übereinanderkletterten, um an die Bühne heranzukommen. Sie weinten. Sie fielen in Ohnmacht. Sie wurden auf Bahren weggetragen.
Michael verstand allerdings nie , wieso junge Mädchen sich die BHs und Höschen auszogen und auf die Bühne warfen. „Iih! Wieso machen sie das?“ Wahrscheinlich erinnerte es ihn zu sehr an Rosie, die Stripperin, aber wir anderen Brüder hatten nichts gegen solche Liebesbekundungen. Irgendwann verlor ich den Überblick, an wie vielen Abenden Unterwäsche vom Hals meines Basses baumelte, während ich spielte. Oft kletterten die Mädchen bis auf die Bühne, und die Polizei hatte es schwer, für Ordnung zu sorgen. Wir lernten, dass jeden Augenblick, mitten in einem Song, von irgendwoher Fans auftauchen konnten, die uns anfassten oder umarmten, bevor sie von den Sicherheitskräften überwältigt und weggebracht werden konnten.
Oft mussten wir vorzeitig von der Bühne. In Detroit trat unser ehemaliger Promoter E. Rodney Jones ans Mikrofon und versuchte das Publikum zu beruhigen: „Die Jackson 5 möchten gern weitermachen, aber ihr müsst wieder auf eure Plätze gehen … Bitte setzt euch wieder hin, sonst müssen wir das Konzert aus Sicherheitsgründen abbrechen.“
Nach drei erfolglosen Warnungen stürmte der Brandschutzbeauftragte auf die Bühne, und das Saallicht ging an. „Ruhe bitte! Ruhe!“ Wir witzelten gern darüber, dass man bei uns als Brandschutzbeauftragter fast immer darauf zählen konnte, in einer kleinen Gastrolle vor ein großes Publikum zu treten.
Wirklich um unser Leben laufen mussten wir aber ironischerweise eher dann, wenn wir ein Konzert in voller Länge hatten absolvieren können, weil oft einige Fans die Halle vorzeitig verließen und zum Bühnenausgang stürmten, um unser Auto zu belagern. Das waren die Momente, in denen wir am meisten Angst hatten – sich durch diese Menschen schieben zu müssen, das war ungefähr so
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