You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
wie das Cello eingesetzt wird, um die Stimmung zu beeinflussen. Ähnlich ist es mit der Akkordfolge am Anfang von „Thriller“, die eine ganz bestimmte Spannung aufbaut und eine unheilvolle Vorahnung aufkommen lässt. Michael wollte immer, dass man beim Hören seiner Musik die Augen schloss und dann ein Bild vor sich sah.
Wir beiden Leadsänger, Michael und ich, teilten meist auch ein Hotelzimmer, wenn wir unterwegs waren. Statt wie früher zu fünft in einem Etagenbett zu schlafen, hatte nun jeder von uns ein Einzelbett ganz für sich allein. Gelegentlich schlief auch Marlon bei uns, aber normalerweise nahm er ein Zimmer mit Tito, Johnny eins mit Ronny, und Jackie bekam ein Einzelzimmer. Dass wir nun nicht mehr in einem Raum schliefen, änderte nichts an unserer engen Verbundenheit, denn wir traten ja trotzdem überall als Einheit auf. Es machte Michael wütend, dass Joseph darauf bestand, stets in einem Nebenzimmer zu übernachten, das durch eine Tür mit unserem verbunden war. Er wollte uns im Auge behalten, denn er wusste wohl, dass Michael die meisten Streiche ausheckte und mein Interesse an Mädchen erwacht war. Immerhin hatte Motown mich als den „Herzensbrecher“ aufgebaut – da war das ja auch geradezu meine Pflicht!
Immer wieder platzte Joseph ohne anzuklopfen in unser Zimmer, und das hasste Michael ganz besonders, weil es ihm das Gefühl gab, überwacht zu werden. Da konnte er schon keinen Schritt außerhalb des Hotels tun, und innerhalb des Hotels konnte er dem prüfenden Blick unseres Vaters nicht entgehen. Wenn wir nach elf noch lachten, klopfte Joseph gegen die Wand: „Ihr sollt schlafen, ihr zwei! Ruht eure Stimmen aus!“ Michael rollte die Augen. „Wenn euch die Stimme versagt, könnt ihr nicht auftreten, und wenn es keine Show gibt …“ Die Drohung, die in diesem unvollendeten Satz mitschwang, blieb im Raum stehen. Wir verstanden. Dem „Falken“ entging nichts.
Aber Michael war nicht viel besser. Wenn er die dröhnende Stimme unseres Vaters hörte und merkte, dass der telefonierte, nahm er sich ein Glas, hielt es an die Wand und hörte zu. Das machte er auch, wenn man uns bei Motown aus dem Zimmer schickte, um Dinge zu besprechen. Ihn faszinierte, worüber dann geredet wurde, vor allem, wenn sein Name fiel. Michael war von Geburt an neugierig, eine Eigenschaft, die er von der Mutter unseres Vaters vererbt bekommen hatte, von Mama Chrystal. Er stellte sich vor, wie toll es sein müsste, ein Abhörgerät zu haben, mit dem man verstehen konnte, was sich andere in einiger Entfernung erzählten, oder das auch leises Flüstern so verstärkte, dass man es gut verstand. „Kannst du dir vorstellen, wie cool das wäre?“, fragte er. „Dann wüssten wir alles, was Joseph vorhat!“ Sein Bedürfnis, über alles Bescheid zu wissen, erstreckte sich später, als seine Solokarriere begonnen hatte, auch auf Labelchefs und Rechtsanwälte.
Ebenso sehr interessierte ihn, worüber seine Fans sprachen. Manchmal machten wir in den Hotels das Licht aus und knieten uns vors Fenster, sahen zum Parkplatz hinunter und beobachteten die allmählich eintreffenden Fans. Manchmal sah es aus wie bei einem gut besuchten Autokino, wenn sich kleine Menschentrauben um die Scheinwerferpaare scharten. Sie riefen unsere Namen und drückten auf die Hupe, ohne zu wissen, dass wir sie insgeheim beobachteten. Es war für uns ein faszinierendes Geschehen, das wir uns viele Stunden ansahen. Im Grunde war es ähnlich wie damals, als wir am Fenster in der Jackson Street 2300 standen, nur in größerem Maßstab. Wir hatten es vom Status von Möchtegern-Sängern zu traumhaftem Starruhm geschafft, aber an dem Gefühl des „Die da draußen und wir hier drinnen“ hatte sich nichts geändert. Nur, dass wir jetzt, nachdem wir unser Ziel erreicht hatten, nach draußen blickten, während andere Kinder zu uns hineinguckten. Oft sah das Gras auf der anderen Seite des Zauns, auf der man gerade nicht war, grüner aus. Diesen Eindruck hatte vor allem auch Michael.
Eins wussten wir allerdings: Andere Kinder sahen nicht als Erstes, wenn sie morgens wach wurden, zwei oder drei hübsche Zimmermädchen am Fuß ihrer Betten stehen, wie sie kichernd Fotos machten … während Joseph lachend daneben stand und der ganzen Sache auch noch Vorschub leistete. Unser Vater war ein Frühaufsteher, wir hingegen schliefen gern lang. Wie gesagt, er konnte durch die Verbindungstür jederzeit in unser Zimmer kommen, und oft hörten wir im Halbschlaf, wie er
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