Young Sherlock Holmes 1
augenblicklich damit, die Pferde zu satteln. »Was sollen wir jetzt machen, Sherlock? Schließlich sind wir in einem fremden Land! Und wir sprechen noch nicht einmal die Sprache!«
»Um ehrlich zu sein, tu ich es«, erwiderte Sherlock und wurde rot.
»Tust du was?«
»Die Sprache sprechen. Jedenfalls ein wenig.«
Sie drehte sich zu ihm um und warf ihm einen seltsamen Blick zu. »Wie kommt’s?«
»Mütterlicherseits stammt meine Familie von einer französischen Linie ab. Mutter hat stets darauf bestanden, dass wir die Sprache lernen. Das ist unser Familienerbe, hat sie immer gesagt.«
Virginia streckte die Hand nach ihm aus, um seinen Arm zu berühren. »Du sprichst nicht viel von ihr«, sagte sie. »Du sprichst von deinem Vater und deinem Bruder, aber nicht von ihr.«
»Nein«, sagte er und spürte einen Kloß im Hals. Er wandte sich ab, damit sie ihm nicht in die Augen blicken konnte. »Tu ich nicht.«
Virginia zog nachdenklich den letzten Sattelgurt straff und beschloss, lieber das Thema zu wechseln. »Also, mal vorausgesetzt, wir sprechen die Sprache, wohin gehen wir dann? Sollen wir um Hilfe bitten?«
»Wir reiten zur Küste«, antwortete Sherlock. »Maupertuis hat Befehl gegeben, die Bienen freizulassen. Wenn wir sie nicht aufhalten, werden die Biester Menschen umbringen. Vielleicht nicht so viele wie Maupertuis denkt, aber einige britische Soldaten werden trotzdem sterben. Wir müssen verhindern, dass man sie freilässt.«
»Aber …«
»Eins nach dem anderen«, unterbrach Sherlock sie. »Lass uns erst zur Küste. Von da aus können wir meinem Bruder ein Telegramm schicken, oder was auch immer. Ich lass mir schon was einfallen.«
Virginia nickte. »Dann mal in den Sattel, großer Fechtmeister.«
Er grinste. »Du warst auch ziemlich großartig da drinnen.«
»Ja, nicht wahr«, sagte sie und erwiderte das Grinsen.
Sie bestiegen die Pferde und ritten gerade vom Château davon, als hinter ihnen Rufe ertönten und eine Alarmglocke zu läuten begann. Aber Sherlock wusste, dass sie eigentlich schon zu weit entfernt waren, um noch eingeholt zu werden.
Im nächsten Dorf machten sie Rast, um sich zu erkundigen, wo sie waren. Sie waren beide hungrig, hatten aber kein französisches Geld. Und somit blieb ihnen nichts anderes übrig, als sehnsüchtig auf die in den Ladenschaufenstern hängenden Würste und die in Körben drapierten Brotstangen zu starren, die so lang wie Sherlocks Arme waren. Ein Bauer erzählte Sherlock, dass sie nur fünf Meilen von Cherbourg entfernt waren. Er wies ihnen den Weg zur richtigen Straße, und dann ging es im Galopp weiter.
Sie waren schon eine Weile geritten, als Virginia einen anerkennenden Blick zu ihm hinüberwarf. »Nicht schlecht«, lobte sie. »Du sitzt auf dem Tier, als wär’s ein Einrad und keine lebende Kreatur, aber trotzdem … nicht schlecht.«
Am Rande eines Birnbaumhaines hielten sie eine halbe Stunde später erneut an, um sich die Taschen voller Birnen zu stopfen. Dann setzten sie ihren Weg fort, während sie sich im Sattel die Früchte schmecken ließen und ihnen der Saft am Kinn hinunterlief. Die vorbeiziehende Landschaft war ihnen einerseits vertraut und unterschied sich andererseits doch sehr von dem, was Sherlock von England her gewohnt war. Das Pochen in seinem Kopf war fast so laut wie die auf den Boden hämmernden Pferdehufe. Was sollten sie nur tun, wenn sie Cherbourg erreicht hatten? Er musste sich unbedingt etwas einfallen lassen. Und zwar schnell.
Doch als sie Cherbourg erreichten, hatte er immer noch keine Idee.
Die Stadt lag an einem Hang, der zum Hafen und dem glitzernden Blau des Meeres hin abfiel. Als die Pferdehufe wenig später über Kopfsteinpflaster klapperten, zügelten sie die Pferde zu einem langsamen Trott, um sich einen Weg durch die dichten Menschenmengen zu bahnen, die in den gewundenen Straßen und Gassen Stände und Läden umlagerten.
Die Szenerie, die sich ihnen bot, hätte sich ebenso gut in jeder beliebigen Stadt in Südengland abspielen können, wenn man einmal von der Kleidung und dem Überangebot an allen möglichen Käsesorten an den Ständen absah.
Sie stiegen ab und banden die Pferde an einem Zaun fest. Sie ließen die Tiere nur ungern zurück, aber irgendjemand würde sich schon um sie kümmern. Sherlocks Sprachkenntnisse wurden aufs Äußerste getestet, als er sich erkundigte, ob sich ein Telegraphenamt in der Nähe befinde. Doch die Auskunft, die er bekam, war absolut niederschmetternd: Das nächste
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