Young Sherlock Holmes 1
hatte fertigbringen können, sich in dieses merkwürdige Abenteuer zu verstricken.
Als er nach einer Weile aufblickte, stellte er zu seiner Überraschung fest, dass das Fort nur noch ein paar Hundert Meter entfernt war. Von Seetang und Algen überzogen, erhob sich der massige feuchte Steinklotz aus den Wogen des Englischen Kanals. Irgendwie hatten sie sich dem Koloss genähert, ohne es richtig wahrzunehmen. Das Fort schien einsam und verlassen dazuliegen. Sherlock musterte die mit Zinnen bewehrte Mauerkrone, von der aus noch vor ein paar Jahrzehnten britische Truppen das Meer nach feindlichen französischen Kriegsschiffen abgesucht hatten. Doch es war niemand zu sehen. Keine Menschenseele.
Das Boot glitt die letzten paar Meter auf die schwarze Felsmasse des Forts zu und kam am Fuß einer schlüpfrigen Steintreppe zum Halten, die nach oben führte.
Rasch vertäute Matty das Boot an einem rostigen Eisenpfahl, der in eine Steinfuge einzementiert war. Dann kraxelten die beiden Jungen die glatten Stufen hinauf, wobei Sherlock fast ausgerutscht und ins Wasser hinabgestürzt wäre, hätte Matty ihn nicht noch gerade rechtzeitig gepackt.
»Woher sollen wir wissen, dass wir nicht zu spät kommen?«, fragte Matty.
»Es ist fast Nacht. Bienen schlafen nachts. Die Leute des Barons hatten nicht viel mehr Zeit herzukommen als wir. Sie werden die Bienen morgen früh freilassen.«
Als sie nach oben kamen, knieten sie sich zunächst hinter eine niedrige Steinmauer, die die Treppenöffnung umgab und deren Fugen mit Moos überwachsen waren.
Sherlock suchte die sich vor ihnen ausdehnende oberste Ebene des Forts ab, wobei es sich seiner Vermutung nach technisch gesehen um das »Deck« des Forts handeln musste, auch wenn dieses ganz spezielle »Schiff« aus Stein und Fels nirgendwohin fahren würde. Aber bis auf ein paar alte Taurollen, diverse Seegrasbüschel und zersplitterte Holzkisten, die hier und da herumlagen, war auf den Steinplatten nichts zu erkennen.
Doch plötzlich leuchtete etwas weiter weg auf der anderen Seite des Forts ein Streichholz auf, in dessen Schein kurz ein bärtiges Gesicht zu erkennen war, über das sich eine Narbe zog. Wer auch immer sich hier im Fort herumtrieb, hatte Wachen aufgestellt. Matty und er mussten vorsichtig sein.
Die Wache bewegte sich von ihnen fort und Sherlock sah, wie sie an einer Öffnung im Steindeck vorbeikam, die an drei Seiten von einem Holzgeländer umgeben war. Vermutlich eine Treppe, die ins Innere des Forts hinabführte! Als der Mann sich weiter entfernte, zupfte Sherlock Matty am Hemd und zog ihn mit zur Öffnung hinüber.
Er hatte recht gehabt. Eine Steintreppe führte hinunter in die Dunkelheit. Ein Geruch nach Moder und Verwesung stieg aus der Tiefe nach oben und hieß sie willkommen.
»Na, los«, zischte Sherlock. »Komm schon.«
Und dann stiegen die beiden die Stufen in das Innere des Forts hinab. Die Dunkelheit, die sie plötzlich umgab, kam Sherlock zunächst so vor, als wären sie in die schwärzesten Abgründe der Hölle geraten. Aber nach einiger Zeit hatten sich seine Augen daran gewöhnt, und er konnte matt scheinende Öllaternen ausmachen, die in regelmäßigen Abständen an der Wand angebracht waren. Sie befanden sich in einem kurzen Gang und bewegten sich auf einen anscheinend größeren Raum zu, der vom trüben orangefarbenen Licht der Lampen spärlich erleuchtet wurde.
Sherlock und Matty schlichen sich weiter bis zu der Stelle, wo die Wände des Ganges sich plötzlich weiteten. Der kreisförmige Raum vor ihnen nahm vermutlich einen Großteil der Ebene ein, auf der sie sich gerade befanden. Etliche, in wenigen Metern Abstand zueinander stehende Steinsäulen gaben der Decke über ihnen Halt. Aber was Sherlocks Herz schneller schlagen ließ, waren die unzähligen Bienenstöcke, die in einem gleichmäßigen Muster auf den Steinplatten aufgestellt worden waren. Es mussten Hunderte sein. Mit Zehntausenden von Bienen in jedem Stock. Was bedeutete, dass ihn nur wenige Meter von etwa einer Million aggressiver Bienen trennten. Er spürte, wie aufgrund ihrer Nähe seine Haut unwillkürlich zu jucken begann. Es war fast so, als würden Tausende dieser Tiere über Schultern und Rückgrat hinabkrabbeln. Ob Maupertuis’ großer Verschwörungsplan nun überall in Großbritannien funktionieren würde oder nicht, die Konzentration von all diesen Bienen an einer Stelle war definitiv eine tödliche Bedrohung für jeden, der sich hier aufhielt.
»Bitte sag mir, dass wir die
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