Young Sherlock Holmes 2
Vielmehr waren die neuen Schiffe jetzt mit mächtigen Dampfmaschinen ausgestattet, die wassermühlenradähnliche Konstruktionen aus hölzernen Schaufeln antrieben, welche an den Schiffseiten angebracht waren. Die von der Dampfmaschine bewegten Schaufeln tauchten ins Wasser, drückten es dann nach hinten und brachten so das Schiff voran, auch wenn gar kein Wind wehte. Gab es eigentlich irgendeinen Ort, an den die Dampfmaschine nicht vordringen würde, irgendein Problem, das sie nicht würde lösen können? Sherlock fragte sich, was wohl als Nächstes kommen mochte … dampfbetriebene Wagen und Kutschen, die die Leute innerhalb weniger Stunden von London nach Liverpool brachten? Und – wenn man noch weiter dachte – würde die Menschheit vielleicht eines Tages sogar mit einem dampfbetriebenen Gefährt auf dem Mond landen?
Mit einem Kopfschütteln vertrieb Sherlock diese abwegigen Gedanken und wendete seine Aufmerksamkeit wieder Mycroft und Amyus Crowe zu, die über Politik, Reisen und Revolutionen diskutierten.
Während sich die Unterhaltung so dahinzog, ertappte Sherlock sich immer wieder dabei, wie seine Gedanken abschweiften. Das Thema Politik war ihm zu hoch und zu abstrakt, auch wenn Crowe das Ganze des Öfteren anhand von einzelnen Beispielen konkreter zu machen versuchte, indem er, im Bestreben seine Argumente zu unterstreichen, etwa auf die Zahl der bei einem bestimmten Ereignis getöteten Menschen oder eine bestimmte Stadt verwies, die dem Erdboden gleichgemacht worden war.
Als Sherlock endlich das rasche Trommeln sich nähernder Hufschläge vernahm, eilte er zur Tür, um Virginia und Matty zu begrüßen.
Er sah, wie sich Virginias Pferd Sandia im Gegenlicht der frühen Abendsonne näherte. Bei den sich dunkel abzeichnenden Konturen auf dem Pferderücken musste es sich um Virginia und Matty handeln, und angesichts Mattys Nähe zu Virginia verspürte Sherlock für einen kurzen Augenblick so etwas wie Eifersucht. Wenn auch nur für einen sehr kurzen Augenblick.
Dann erkannte Sherlock aber, dass es sich um nur eine Person handelte. Es war Virginia. Ihr Haar war vom Wind ganz zerzaust, und ein wilder Ausdruck lag in ihren Augen. Sie brachte Sandia unmittelbar neben Sherlock zum Stehen.
»Wo ist Matty?«, fragte er.
Virginia sprang vom Pferd, drängte sich an Sherlock vorbei und stürmte in das Cottage. Sherlock folgte ihr verblüfft.
»Sie haben Matty geschnappt!«, schrie sie.
»Wie meinst du das?«, fragte Mycroft und erhob sich von seinem Stuhl.
»Ich bin zu seinem Boot und hab ihn überredet mitzukommen«, stieß sie hastig hervor. »Wir sind zu zweit auf Sandia losgeritten und dann lag auf einmal ein Baum quer über der Straße. Auf dem Hinweg war der noch nicht da gewesen. Ich hab kurz überlegt, einfach drüberzuspringen. Aber ich war nicht sicher, ob Sandia es mit Matty und mir auf dem Rücken schaffen würde. Also hab ich Sandia angehalten. Gerade als Matty und ich dann den Baumstamm von der Straße schieben wollten, kamen zwei Männer aus den Büschen auf uns zugerannt. Einer von ihnen schlug Matty gegen den Kopf. Er muss dadurch gleich bewusstlos geworden sein, denn er hat sich überhaupt nicht mehr gewehrt. Der andere Mann hat sich auf mich gestürzt. Er hat versucht, mich an den Haaren zu packen. Aber als ich ihm in die Hand gebissen habe, hat er sie wieder weggezogen. Ich bin zu Sandia gerannt und Hals über Kopf davongaloppiert. Dann hab ich mich noch mal umgedreht und gesehen, wie die zwei Matty fortgeschleppt haben.« Sie wirkte ganz schockiert und ihr Gesicht war kreidebleich. »Ich hab ihn einfach zurückgelassen!«, schrie sie, als hätte sie gerade erst realisiert, was geschehen war. »Ich hätte dableiben oder zurückkehren sollen, um ihn zu retten.«
»Wenn du das getan hättest, wärst du höchstwahrscheinlich auch geschnappt worden«, bemerkte Crowe, woraufhin er mit einer für einen Mann seiner Größe erstaunlichen Geschwindigkeit durch den Raum stürzte, um sie an sich zu drücken. »Gott sei Dank bist du in Sicherheit.«
»Aber was ist mit Matty?«, rief Sherlock.
»Wir werden ihn befreien«, versprach Mycroft. »Es ist ganz offensichtlich, dass …«
Doch bevor er den Satz zu Ende bringen konnte, wurde er von dem Geräusch zersplitternden Glases unterbrochen. Ein schwerer Gegenstand kam durch die Fensterscheibe geflogen und landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden. Crowe rannte zur Tür und riss sie auf. Von draußen waren Huftritte zu hören, als jemand
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