Young Sherlock Holmes 2
einzige Antwort lieferten. Meistens ergaben sich daraus mehrere Möglichkeiten, und man musste mit einer anderen Methode versuchen, die richtige zu finden. Man konnte das dann Intuition nennen oder Spekulation, auf jeden Fall aber war es keine Logik.
Rechts und links flogen Cottages und Häuser so rasch vorbei, dass sie für Sherlock kaum voneinander zu unterscheiden waren. Doch in der Ferne konnte er auf einem Hügel einen großen Steinbau ausmachen, bei dem es sich um die Burg von Farnham handelte.
Trotz der Hitze, die die Erde während des Tages aufgenommen hatte und nun wieder abstrahlte, ließ ihn der an den Ohren vorbeipfeifende Wind frösteln. Plötzlich meinte er, die Hufschläge seines eigenen Pferdes noch einmal als Echo zu hören, obwohl es in der Umgebung eigentlich nichts gab, an dem ein Echo hätte zurückgeworfen werden können. Als er über die Schulter blickte, war er ganz verblüfft, Virginia zu sehen, die, dicht an den Hals ihres Pferdes geschmiegt, hinter ihm hergaloppierte. Sie warf ihm ein breites Grinsen zu, und er grinste zurück. Eigentlich hätte er wissen müssen, dass nichts und niemand Virginia von so einem Abenteuer abhalten konnte. Sie hatte wirklich absolut gar nichts mit den Mädchen gemeinsam, die Sherlock bisher kennengelernt hatte.
Dann preschten sie durch ein kleines Dörfchen. Einige Dorfbewohner sprangen erschrocken von der Straße, und Sherlock konnte wütende Rufe hinter sich hören, als sie weitergaloppierten. Dann hatten sie die Siedlung hinter sich gelassen. Wie lange würde Crowe wohl noch einfach so weiterreiten, bevor er sich eingestand, dass sie womöglich den falschen Weg eingeschlagen hatten?
Virginia war nun auf gleicher Höhe mit Sherlock. Mit leuchtenden Augen warf sie ihm von der Seite einen Blick zu. Sherlock vermutete, dass sie – ungeachtet der Dringlichkeit ihrer Mission – die Aktion in vollen Zügen genoss. Schließlich ritt sie für ihr Leben gern, und jetzt konnte sie reiten, wie sie es wohl noch niemals zuvor getan hatte.
Sherlock blickte wieder geradeaus und stutzte. Vor Amyus Crowes gedrungenem Körper und dessen großem weißen Hut, der trotz des rasenden Ritts wundersamerweise irgendwie auf Crowes Kopf blieb, nahm er etwas auf der Straße wahr, das sich anscheinend bewegte. Sherlock sah genauer hin, und als er näher kam, erkannte er, dass es sich um eine Kutsche handelte, die heftig schaukelnd die Straße entlangjagte. Im nächsten Augenblick fuhr sie schon so schnell in eine Kurve, dass die Räder auf der einen Seite für ein paar Sekunden vom Boden abhoben. Über der Kutsche meinte Sherlock die dünne Linie einer Peitsche zu erkennen, die vor- und zurückzuckte, um die Pferde zu immer größeren Anstrengungen anzutreiben. War Matty etwa da drin? Der Kutscher unternahm offensichtlich alles, was in seiner Macht stand, um das Gefährt noch schneller über die Straße dahinfliegen zu lassen. Es musste schon ein großer Zufall sein, sollte es sich nicht um die Amerikaner handeln, die sich dort vor ihnen befanden. Denn wer würde sonst so verzweifelt bemüht sein, Farnham hinter sich zu lassen, dass er es dabei in Kauf nahm, sich den Hals zu brechen?
Sherlock spornte sein Pferd zu noch größerem Tempo an, und das Tier gehorchte. Der Abstand zwischen ihm und Crowe verringerte sich, und er bekam einen besseren Blick auf die Kutsche. Es war ein vierrädriger Wagen, der von zwei Pferden gezogen wurde. Heftig tanzten die Dämpfungsfedern auf und ab, während die Räder über die unzähligen Furchen, Löcher und Bodenwellen auf der Straße ratterten.
Virginia zog langsam an Sherlocks linker Seite vorbei. Wieder warf er einen Blick zu ihr hinüber. Sie hatte ihre Zähne entblößt, was fast wie ein Grinsen aussah, Sherlocks Vermutung nach aber wohl eher so etwas wie ein wütendes Zähnefletschen war.
Sherlock schaute nach rechts zu Crowe, zu dem er nun aufgeschlossen hatte. Crowes Blick war auf die Kutsche vor ihm gerichtet, und seine Augen versprühten solch eine vulkanische Glut und Entschlossenheit, dass Sherlock es kurz mit der Angst zu tun bekam. Er hatte Crowe bisher immer als absoluten Gentleman erlebt, für den die Logik und das Sammeln von Fakten über allem standen. Aber Virginia hatte Sherlock einmal erzählt, dass Crowe in Amerika einst eine Art Menschenjäger gewesen war. Ein Jäger, der seine Beute oft auch tot zurückbrachte. Jetzt, da er Crowe so neben sich sah, konnte Sherlock sich das zum ersten Mal auch wirklich vorstellen. Keine
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