Young Sherlock Holmes 2
dass er nichts von ihrer Unterhaltung mitbekommen hatte. Um nicht aufzufallen, blickte Sherlock rasch in eine andere Richtung. Als er wieder zum Fenster sah, war das Zimmer leer. Die Männer waren fort und hatten Matty mitgenommen.
Sherlock stürmte die Leiter hinunter und rannte über die Straße auf die Pension zu. Er wusste nicht, was er machen sollte, aber irgendetwas musste er unternehmen.
Doch er kam zu spät. Als er mit Matty kommuniziert hatte, musste einer der Männer auf die Straße gegangen sein, um eine Droschke anzuhalten, während ein anderer ihr Gepäck nach unten gebracht hatte. Denn als Sherlock auf die Pension zulief, stieg die Gruppe schon in die Droschke. Sherlock konnte nur noch einen letzten Blick auf Mattys ängstliches Gesicht erhaschen, bevor der Kutscher die Pferde mit der Peitsche antrieb und das Gefährt sich in Bewegung setzte.
Verzweifelt blickte Sherlock sich nach einer anderen Droschke um. Aber abgesehen von ein paar merkwürdigen Gestalten, die auf der Straße herumlungerten, war nichts zu sehen.
Einen Moment lang war er vor Verzweiflung wie gelähmt. Doch dann gab er sich einen Ruck.
Nein. Für solche Gefühle war jetzt keine Zeit. So schnell er konnte, lief er zum Hotel zurück. Er nahm den gleichen Weg, auf dem er gekommen war und den er sich anscheinend unbewusst gemerkt hatte. Falls er sich doch verlaufen sollte, hatte er zur Not ja immer noch den Briefbogen mit der Hoteladresse dabei. Seine Gedanken wirbelten genauso schnell wie seine Beine. Was konnte Mattys letzte Botschaft bloß bedeuten? Offensichtlich war es ein Hinweis auf etwas. Eine Antwort auf die Frage, die Sherlock gestellt hatte. Aber wie lautete diese Antwort?
Eine Scharade vielleicht? Hatte Matty versucht, ihm den Namen ihres Zielortes in Form von Silben klarzumachen? Während die Läden, Hotels und Straßenecken an ihm vorbeizogen, ihm die Luft durch die Kehle pfiff und in der Lunge brannte, versuchte er die Hinweise zu entschlüsseln.
Hm, Schreiben … Bleistift? Füller? Worte?
Die Fensterbank. Meinte er die Fensterbank selbst oder den Stein, aus dem sie gemacht war?
Und die Kirche. Während er über den Gehweg rannte und sich an langsameren Fußgängern vorbeizwängte, versuchte Sherlock sich daran zu erinnern, was sich oben am Kirchturm befunden hatte. Die Kirchturmspitze natürlich. Und oben auf der Spitze war …
Eine Wetterfahne, die sich drehte und so die Windrichtung anzeigte.
Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Das englische Wort für Füller lautete:
pen.
Fensterbank:
sill.
Wetterfahne:
vane.
Also:
pensillvane.
Irgendwo in Amerika gab es doch einen Ort, der Pennsylvania genannt wurde. War es
das
, was Matty ihm mitzuteilen versucht hatte?
Aber was war mit der anderen Botschaft … die beiden Finger, mit denen er erst auf sich und dann auf Sherlock gezeigt hatte, um dann verwirrt mit den Achseln zu zucken und drei Finger hochzuhalten? Was hatte das zu bedeuten?
Zwei –
two
. Das konnte auch
to
–
nach
bedeuten. Also:
Pennsylvania nach
… Tja, wohin nur?
Das Jellabee Hotel kam nun in Sicht. Sherlocks Muskeln schmerzten, aber irgendwie rannte er einfach weiter.
Matty und Sherlock und etwas Drittes, etwas, das noch fehlte. Virginia! Es musste Virginia sein. Das war nicht nur ein Name, sondern auch ein Ort in Amerika!
Pennsylvania nach Virginia.
Das ergab immer noch keinen richtigen Sinn, aber Amyus Crowe würde vielleicht in der Lage sein, das zu enträtseln.
Sherlock stürzte durch die Eingangstür des Hotels, stürmte die Treppe hinauf und ließ sich vor Erschöpfung buchstäblich gegen die Tür fallen. Er donnerte mit den Fäusten gegen das Holz. Die Tür öffnete sich, und er fiel hinein. Virginia stand über ihn gebeugt und sah ihn erschrocken an.
»Wo ist dein Vater?«, keuchte er.
»Er ist noch nicht zurück. Er muss immer noch bei den Pinkertons sein.«
»Ich habe Matty gesehen. Sie bringen ihn gerade weg.« Zwischen seinen schweren, keuchenden Atemzügen musste er die Worte regelrecht hervorpressen. »Matty hat mir eine Botschaft übermittelt: ›Pennsylvania to Virginia‹. Ich glaube, er wollte mir damit mitteilen, wo sie ihn hinbringen. Aber ich verstehe es nicht ganz. Sind sie nun auf dem Weg nach Pennsylvania oder nach Virginia? Oder nach Pennsylvania
und
Virginia? Das sind doch beides Orte, nicht wahr?«
Virginia schüttelte den Kopf. »Es ist viel einfacher als das. Die Pennsylvania Railroad Company hat hier in New York einen eigenen
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