Young Sherlock Holmes 2
Abzweigung und wurde dann langsamer, als er schließlich eine Öffnung in einer Umzäunung passierte und auf einen Bahnhof zufuhr.
Nein, nicht auf einen Bahnhof.
Ein Haus. Ein großes weißes Haus. Mit einer Ansammlung aus Einfriedungen, von Mauern umgebenen Arealen und Käfigen dahinter. Es sah aus wie ein Privatzoo.
So schnell er konnte, kletterte Sherlock die Leiter hinunter und betrat wieder den Waggon. Der Schaffner kämpfte sich gerade durch den Gang, zwängte sich an den unruhigen Fahrgästen vorbei und rief permanent: »Außerplanmäßiger Halt. Bitte nicht aussteigen. Außerplanmäßiger Halt.«
Unter dem langgezogenen Zischen des entweichenden Dampfes schleppte sich der Zug noch die letzten Meter weiter, bis er schließlich neben einer langen Veranda, die sich an der Rückseite des Hauses befand, zum Stehen kam.
Dort stand eine Gruppe von acht oder neun Männern.
Jede Hoffnung Sherlocks, es könnte sich dabei um Polizisten oder Armeeangehörige handeln, schwand, als Berle und der andere Mann, zusammen mit Virginia, Matty und Booth, die sie fest am Arm gepackt hielten, den Zug verließen und sich zu der Gruppe gesellten.
13
Im Zug herrschte das blanke Chaos. Ausnahmslos jeder Fahrgast schien auf den Schaffner einzubrüllen, um herauszufinden, warum der Zug die Spur gewechselt und gestoppt hatte und wo sie sich jetzt überhaupt befanden. Der Schaffner schien sich da selbst nicht so sicher zu sein. Er versuchte zwar, die Leute zu beschwichtigen, doch der Ausdruck in seinem Gesicht ließ darauf schließen, dass er keine Ahnung hatte, was eigentlich los war.
»Außerplanmäßiger Halt!«, rief er unermüdlich. »Bitte steigen Sie nicht aus!«
Noch immer standen die beiden Männer mit Virginia und Matty auf der Veranda. Sie warteten auf etwas. Sherlocks Vermutung nach wahrscheinlich auf ihn. John Wilkes Booth hatte sich etwas abseits hingestellt. Er stand aufrecht, aber sein Oberkörper schwankte langsam hin und her, und seine Augen blickten ausdruckslos ins Leere. Vermutlich hatte man ihn unter Drogen gesetzt, um ihn ruhig zu halten.
Ein Mann aus der Gruppe zog kurz seine Hand hinter dem Rücken hervor und ließ eine Waffe erkennen.
Sherlock sah ein, dass er keine große Wahl hatte. Also stieg er aus dem Zug und trat auf die Veranda.
Unterdessen hatten sich einige der Männer, die er anfangs auf der Veranda hatte warten sehen, zum letzten Waggon begeben, wo sie diverse Holzkisten ausluden. Sie sahen aus wie die Kisten, die er im Garten des Hauses in Godalming gesehen hatte. Diejenigen, in denen er meinte, irgendwelche Bewegungen wahrgenommen zu haben. Nachdem sie die Kisten ausgeladen hatten, trugen die Männer sie zu einem Lastkarren. Dabei schienen sie darauf bedacht zu sein, mit den Fingern nicht zu nah an die Spalten zwischen den Holzlatten zu kommen. Zwei von ihnen stießen unversehens einen Fluch aus, als sich ihre Kiste plötzlich neigte und fast auf den Boden gefallen wäre. Sherlock konnte nicht erkennen, wie es dazu gekommen war, aber vielleicht hatte sich drinnen irgendetwas heftig bewegt.
Ohne dass jemand ein Signal gegeben hätte, zumindest hatte Sherlock keines bemerkt, setzte sich der Zug plötzlich wieder in Bewegung. Unter ohrenbetäubendem Klirren strafften sich die Metallkupplungen zwischen den Waggons, und dann schleppte sich der Zug anfangs noch langsam vom Haus fort, bevor er mit zunehmender Entfernung immer schneller wurde.
»Wo ist Ives?«, fragte Berle mit erhobener Stimme, um den Lärm des Zuges zu übertönen. Mit der rechten Hand hatte er immer noch Virginia am Arm gepackt, während er in der linken jetzt eine etwa fußballgroße Box an einem Tragegriff hielt.
»Ausgestiegen«, erwiderte Sherlock. Er spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals schlug, doch er gab sich Mühe, ruhig zu bleiben und eine beherrschte Haltung an den Tag zu legen.
Virginia und Matty starrten ihn besorgt an. Er erwiderte ihre Blicke und versuchte dabei, die beruhigende Botschaft zum Ausdruck zu bringen, dass alles schon in Ordnung kommen würde. Aber irgendwie glaubte er selbst nicht daran, und er hatte den Eindruck, dass sie es auch nicht taten.
»Du meinst wohl,
runtergefallen
«, sagte Berle. »Du hast ihn
umgebracht
!«
»Ah, ich rieche Rauch«, verkündete Booth plötzlich hinter ihnen. Er hatte die Augen geschlossen, und seine Stimme klang ganz entrückt und wie in Trance.
»Schnauze!«, knurrte der dritte Mann, der Matty festhielt. »Oder ich drück dir ein heißes Brandeisen auf die
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