Young Sherlock Holmes 2
Terrassentüren von innen aufgestoßen wurden. Zwei Diener in tadelloser schwarzer Livree hielten die Türflügel auf, während eine dritte Person ins Sonnenlicht hinaustrat.
Der Mann war groß – Sherlocks Schätzung nach sicher über eins achtzig, vermutlich jedoch eher an die zwei Meter – und schrecklich dürr. Fast alles, was er trug, war weiß: der maßgeschneiderte Anzug, die Weste, die Stiefel, der breitkrempige Hut und die Handschuhe. Die einzigen Ausnahmen waren das Band, das sich um den Hut herumzog, sowie die Schnürsenkelkrawatte, die von seinem Hemdkragen herabhing und dann unter seiner Weste verschwand. Beide bestanden aus schwarzem Leder. Zuerst dachte Sherlock, dass das Gesicht des Mannes entweder unglaublich blass war oder von weißem Make-up bedeckt sein musste. Aber dann erkannte er, dass der Mann eine Porzellanmaske trug. Eine Maske, die so exzellent gefertigt war, dass sie wie ein fein konturiertes, von zarter Haut überzogenes Gesicht aussah. Das Haar, das unter dem Hut hervorlugte und über den oberen Rand der Maske fiel, war so hellblond, dass es fast weiß erschien.
Die Augen des Mannes, die aus den Löchern in der Maske hervorstachen, waren es jedoch nicht. Die Iris war so dunkel, dass sie fast schwarz wirkte, und um die Iris herum waren die Augen blutunterlaufen. Gegen das makellose Weiß der Maske wirkten sie glühend rot.
Die Handgelenke, die unter den Ärmelaufschlägen des Hemdes hervorlugten, waren unglaublich dünn, und Sherlock fragte sich, ob sie womöglich brechen würden, wenn man dem Mann bloß die Hand schüttelte. Allerdings streckte der Fremde ihnen keineswegs die Hand zur Begrüßung aus. Vielmehr wurden seine Arme von zwei schwarzen Lederleinen, die von den Handgelenken fort in die Dunkelheit des Hauses führten, von seinem Körper weggezogen. Und irgendetwas zerrte so an den Leinen, dass sie unter ständiger Spannung standen.
Unmittelbar vor den Terrassentüren blieb der Mann stehen. Sherlock meinte eine Bewegung am Ende der Leinen zu sehen. Aber er war nicht sicher, um was es sich dabei handeln mochte. Vermutlich waren es irgendwelche Hunde, allerdings ganz schön große.
»Dr. Berle«, begann der Maskierte. Seine Stimme war ziemlich hoch und so leise, dass sie fast nicht über Flüsterlautstärke hinauskam. »Captain Rubinek. Mr Booth. Und natürlich nicht zu vergessen: unsere werten Gäste. Ich fürchte, ich kenne Ihre Namen nicht. Würden Sie bitte, um den Anforderungen einer höflichen Konversation Genüge zu tun, so freundlich sein, sich selbst vorzustellen?«
»Ich bin Virginia Crowe«, begann Virginia.
»Matty Arnatt«, sagte Matty nur und blickte finster drein.
»Ah«, sagte der Mann. »Ein Freund von jenseits des Atlantiks.« Er richtete seine blutroten Augen auf Sherlock. »Und Sie, Sir? Wer sind Sie?«
»Sherlock Scott Holmes«, antwortete Sherlock.
»Noch ein britischer Gast. Wie … reizend.«
Sherlock sah auf die Hände des Mannes, die immer noch die Leinen hielten. Irgendetwas stimmte nicht mit ihnen, aber er brauchte einen Moment, um darauf zu kommen, was es war. Dem Mann fehlten an beiden Händen Finger! An der linken Hand der kleine Finger und an der rechten der Ringfinger. Und die Handschuhe, die er trug, waren tatsächlich ohne diese fehlenden Gliedmaße gefertigt worden, so dass keine leeren Handschuhfinger herabbaumelten oder festgesteckt worden waren.
Doch da war auch noch etwas anderes, was ihm an den Händen merkwürdig vorkam. Sie waren zwar ebenso dürr wie der Rest des Körpers, aber unter dem Handschuhleder wölbten sich – deutlich erkennbar – Beulen hervor. Wie mochten diese Hände unter den Handschuhen nur aussehen?
»Damit sind wir Ihnen gegenüber im Nachteil«, sagte Sherlock, der den Blick wieder der Porzellanmaske zuwandte und dabei versuchte, seine Stimme so ruhig wie möglich klingen zu lassen. »Dürfte ich nach
Ihrem
Namen fragen?«
»Ich bin Duke Balthassar«, entgegnete der Mann mit seiner kratzigen, papierenen Stimme, die an trockenes Herbstlaub erinnerte. »
Duke
steht in diesem Fall für meinen Vornamen und ist nicht als Adelstitel wie etwa ›Herzog‹ oder ›Prinz‹ zu verstehen. Und jetzt bedienen Sie sich bitte. Ich versichere Ihnen, dass der Saft absolut frisch ist, und die Brötchen kommen gerade warm aus dem Ofen.«
Virginia langte nach der Karaffe. »Ich schenke ein«, sagte sie und begann die Gläser zu füllen.
Duke Balthassar trat jetzt ganz in den Sonnenschein hinaus. Die Leinen, die
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