Young Sherlock Holmes 3
Name?«
»Mycroft Siger Holmes.«
»Und haben Sie diesen Mann getötet, Sir?«
»Nein, ich habe diesen Mann nicht getötet.«
Sherlock bemerkte, wie sich angesichts der Bestimmtheit in Mycrofts Stimme Crowes Lippen kaum merklich kräuselten. Der Sergeant sah erstaunt aus.
»Ich fürchte, Sir, dass ich Sie festnehmen muss. Sie werden zu Scotland Yard gebracht, wo man Sie unter Eid vernehmen wird.« Er sah zunächst noch einmal kurz zur Leiche hinüber und blickte dann einen der Constables an. »Na schön, lassen Sie nach dem Pathologen schicken. Der alte Murdoch hat heute Dienst. Sehen Sie zu, dass er herkommt und die Leiche abholt. Und stellt das Messer sicher. Das werden wir dann dem Richter präsentieren.«
Die Worte dröhnten wie eine riesige, misstönende Glocke in Sherlocks Ohren. Mit Entsetzen sah er zu, wie Mycroft an der Schulter gepackt und anschließend vom Tatort quer durch den Clubraum zur Eingangshalle geführt wurde. Einer der Constables packte das Messer behutsam am Griff und trug es davon.
»Mister Crowe …«, begann Sherlock.
»Keine Zeit!«, blaffte Crowe. »Ich verstehe, dass du jetzt aufgewühlt bist. Das ist verständlich. Das Problem ist nur, dass, wenn wir den Namen deines Bruders wieder reinwaschen und ihn vor dem Gefängnis bewahren wollen, wir jetzt schnell handeln müssen. Schnell und mit absoluter Präzision. Emotionen werden uns daran nur hindern und unser Urteilsvermögen trüben. Verstehst du, was ich sage?«
»Ja«, keuchte Sherlock.
»Versuche, Kummer und Angst zu unterdrücken. Stell dir vor, du wickelst deine Gefühle in eine Decke ein, die du dann zubindest und irgendwo in einem fernen Winkel deines Geistes verstaust. Ich verlange nicht von dir, dass du sie für immer vergisst, sondern nur jetzt für den Moment. Du kannst sie später wieder hervorholen, wenn alles vorbei ist, und dich in sie hüllen, solange du willst. Aber nicht jetzt.«
»Ja, in Ordnung.« Sherlock schloss die Augen und schickte sich an, Crowes Ratschlag in die Tat umzusetzen. Er versuchte, sich den in ihm tosenden Wirbel der Gefühle als feurigen Ball vorzustellen, der in seinem Kopf schwebte. Dann malte er sich einen feuerfesten Stoff aus – so schwarz wie die Nacht –, der sich um den Feuerball wickelte. Im nächsten Moment tauchten plötzlich Seile und Ketten aus der Dunkelheit auf und legten sich um den Stoff. Wie von Geisterhand wurden sie immer straffer gezogen, bis der Ball komplett eingewickelt und fest verschnürt war. Anschließend stellte er sich vor, wie der Ball in die schattenerfüllte Finsternis hinabschwebte, bis er in einem staubigen Schrank landete, der sich im hintersten Winkel seines Geistes befand. Dann verschloss Sherlock die Tür.
Er schlug die Augen auf und machte einen tiefen Atemzug. Er fühlte sich besser. Die Panik war fast verschwunden. Er wusste, dass all diese Gefühle noch da waren, verborgen in diesem Schrank. Doch im Moment empfand er sie nicht mehr. Er konnte sie wieder hervorholen, wann immer er wollte. Aber jetzt gerade war er sich gar nicht so sicher, ob er das jemals tun würde.
»Alles in Ordnung mit dir?«
»Ja. Was sollen wir jetzt machen?«
»Wir müssen die Leiche untersuchen und den Raum. Ich übernehme das Erste, du das Zweite.«
»In Ordnung.« Er dachte einen Augenblick nach. »Warum hat uns die Polizei eigentlich hier mit der Leiche allein gelassen?«
Crowes Gesicht verfinsterte sich. »Das Problem mit den meisten Verbrechensbekämpfern ist, dass sie simple Antworten lieben. Sie haben zwei Männer in einem verschlossenen Raum vorgefunden, einer von ihnen tot, der andere am Leben. Für sie ist die Antwort einfach. Und ich muss zugeben, würde ich deinen Bruder nicht so gut kennen, würde es für mich ebenso einfach aussehen. Was sie anbelangt, so haben sie ihren Mann. Das Messer ist für sie nur noch so etwas wie eine Trophäe: Sie können bei der Gerichtsverhandlung damit herumwedeln und die Geschworenen erschrecken. Tja, und was
unseren
Mann hier anbelangt: Der ist tot und wird nirgendwo mehr hingehen, bis der Pathologe kommt, um ihn abzutransportieren. Und das sollte uns genug Zeit geben, um eventuell auf ein paar Dinge zu stoßen. Dinge, die ihnen aufgefallen wären, hätten sie sich die Mühe gemacht, sich umzusehen. So, jetzt aber genug geredet. An die Arbeit!«
Während Crowe sich am Tisch zu schaffen machte, begann Sherlock in einer Zimmerecke damit, methodisch jeden Zentimeter zu untersuchen. Er wusste nicht, wonach er eigentlich
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