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Young Sherlock Holmes 3

Young Sherlock Holmes 3

Titel: Young Sherlock Holmes 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Lane
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lebendiges Wesen und gerade aus einem tiefen Schlaf erwacht. Er hatte gedacht, er und der bärtige Mann seien allein in den Gewölben unterhalb der Waterloo Station. Doch auf einmal geriet die Finsternis in Bewegung und teilte sich in acht, neun, zehn kleine Gestalten. Sie schienen förmlich aus den Wänden hervorzukommen oder direkt aus dem matschigen Boden aufzutauchen. Sie waren klein – kleiner als Sherlock und kleiner als sein Freund Matty. Und dort, wo durch die Kleidung, die eher aus Fetzen als aus Lumpen bestand, die Haut durchschien, war diese ganz grau vor Dreck und Schmiere. Dreck und Schmiere, die sich bereits so lange in ihre Poren eingegraben hatten, dass sie zu einem Teil von ihnen geworden waren.
    Kinder. Tunnelbewohner ohne Familien und ohne eine andere Überlebensmöglichkeit, als im Dreck nach Dingen zu wühlen, die vorbeihastende Fahrgäste weggeschmissen hatten. Ihre großen, dunklen Augen erinnerten an die von Ratten, und die langen Nägel an ihren Fingern und Zehen waren scharf und von Schmutz verkrustet. Aufgeplatzte Lippen spannten sich an zerfetzten, von Blasen überzogenen Mündern über krankes Zahnfleisch. Bei den wenigen Zähnen, die noch vorhanden waren, handelte es sich um schwarze, gezackte Stumpen, die wie erodierte Bergkuppen aussahen. Die Kinder waren nicht einmal in der Lage, sich aufrecht zu halten: Sie hatten so lange Zeit damit verbracht, durch enge Tunnel zu krabbeln und im Dreck und Matsch nach verlorenen Münzen zu wühlen, dass sie ganz gebeugt waren. Ihre dürren Arme und Beine wirkten wie verbogene Äste, während ihre Bäuche merkwürdig aufgebläht waren. Strähniges Haar fiel ihnen ins Gesicht. Sherlock konnte nicht einmal sagen, bei wem es sich um einen Jungen oder ein Mädchen handelte: Dreck und Hunger ließen sie alle gleich aussehen. Und dann erst, gütiger Gott, der Geruch: Der schiere Gestank von Fäulnis und Verwesung, der ihnen entströmte, war so intensiv, dass Sherlock fast zu sehen meinte, wie sich die Luft um sie herum kräuselte.
    Wie konnten Menschen nur so leben, fragte er sich und wich zurück. Abgesehen von einem unersättlichen Hunger lag in ihren Augen keinerlei Ausdruck, als sie sich auf ihn zu bewegten. Für sie war er nichts anderes als ein Mittel, sich die nächste Mahlzeit zu beschaffen.
    Aber dann nahm er sie mit anderen Augen wahr. Ein oder zwei Sekunden lang waren sie nichts als Monster für ihn gewesen, Kreaturen der Nacht, bereit, in Scharen über ihn herzufallen und ihn zu erledigen. Doch plötzlich sah er in ihnen auch Kinder, die der Hunger zu schrecklichen Dingen getrieben hatte. Seine Gefühle schwankten unablässig zwischen Horror und Mitgefühl hin und her. Wie konnte man zulassen, dass Menschen – dass
Kinder
– so lebten? Das war schlicht und einfach falsch.
    »Ihr müsst das nicht tun«, sagte er, immer noch langsam zurückweichend. Die wilden Kinder reckten die Köpfe bei diesen Worten. Doch er war sich nicht sicher, ob sie ihn verstanden hatten. Oder wenn sie es hatten, ob es sie überhaupt kümmerte. Alles, worum ihre Gedanken kreisten, war, dass der große Mann mit dem Bart ihnen ein Vermögen zahlen würde, wenn sie Sherlock zu ihm brachten. Und wenn sie ihm Arme und Beine brechen mussten, um ihn an der Flucht zu hindern, dann war es eben so.
    Sherlock beschlich das Gefühl, dass sie noch schlimmere Dinge getan hatten, dort unten in der Finsternis.
    Er drehte sich um, um wegzurennen. Aber da standen schon vier, nein
fünf
Kinder hinter ihm. Lautlos waren sie aus den Schatten aufgetaucht.
    Eine Hand packte ihn am Ärmel. Heftig zuckte er zurück. Der Stoff entglitt den dünnen Fingern, wurde dabei jedoch dem Geräusch nach zu schließen von den scharfen Fingernägeln zerrissen.
    Im Licht, das von der Straße hereinsickerte, konnte Sherlock den bedrohlichen Schatten des Bärtigen sehen. Und ihn lachen hören.
    Verzweifelt versuchte er, die Panik zu unterdrücken, die in ihm aufstieg. Er musste nachdenken und zwar schnell.
    Eine andere Hand griff nach seinem Ellenbogen. Mit einer energischen Bewegung schob er sie weg. Die Haut, die er dabei berührte – sie fühlte sich
glitschig
an. Unbewusst wischte er sich die Hand an der Jacke ab.
    Nur noch wenige Sekunden und sie würden in Scharen über ihn herfallen. Er blickte sich um und hielt Ausschau nach etwas, nach irgendetwas, das er zur Flucht nutzen konnte.
    Die Mauer! Seine einzige Hoffnung war die Mauer zu seiner Linken, die sich nach oben hin wölbte. Die wilden Kinder

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