Young Sherlock Holmes 3
erwerben gab. In den Verkaufsbuden jedoch, die sich anscheinend eher an das einfachere Publikum richteten, wurde lebhaft mit allem möglichen Krimskrams gehandelt: von Messern, Tabak, Taschen oder gebrauchter Kleidung bis hin zu Knöpfen und Stoffresten. Darüber hinaus wurden in ein paar Buden auch religiöse Artikel wie Kreuze oder auf Holztafeln gemalte bunte Heiligenbilder feilgeboten. Die Gesellschaft in Russland, so schien es ihm, war viel religiöser als die in England.
Zwischen den Läden und Buden wanderten Teeverkäufer umher, die Handkarren mit bedenklich vor sich hinschwankenden, heißen Teekesseln vor sich herschoben und anscheinend auch etwas zu essen anboten. Denn von Schnüren um ihren Hals baumelten Brotringe wie riesige Perlen herab.
An jeder Kreuzung fielen Sherlock zudem Holzhäuschen ins Auge, in denen sich Männer in grauen Uniformen und schwarzen Helmen aufhielten. Sie trugen Schwerter an den Seiten und diejenigen, die nicht gerade ein Nickerchen auf ihrem Posten machten, sahen einfach nur gelangweilt und verfroren aus.
Sherlock warf einen Blick auf seine Uhr und beschloss, dass es Zeit war zurückzukehren. Als er auf Höhe einer Seitenstraße angelangte, blieb er stehen. Jemand, der dicht hinter ihm gegangen sein musste, stieß mit ihm zusammen. Mit einer Entschuldigung auf den Lippen drehte er sich um, doch der Mann drängte sich mit einem unterdrückten Fluch an ihm vorbei. In diesem Moment fiel ihm eine lebhafte Unterhaltung auf, die sich an einem der Holzhäuschen abspielte. Ein Mann in schwerem Mantel, der eine Mütze mit Pelzohrklappen trug, redete, wild mit beiden Händen gestikulierend, auf den Polizisten im Häuschen ein. Sherlock wollte sich schon abwenden, als der Pelzkappenmann sich umdrehte und auf ihn zeigte. Der Polizist starrte Sherlock finster an.
Ein Schauder durchfuhr ihn.
Wie es aussah, erklärte der Pelzkappenmann, dass ihm etwas weggenommen worden war. Er wies auf eine seiner Manteltaschen, ließ seine Hand hinein- und wieder hinausgleiten und brachte so zum Ausdruck, dass er Opfer eines Taschendiebstahls geworden war. Dann zeigte er wieder auf Sherlock. Sherlock blickte über die Schulter zurück, um festzustellen, ob jemand hinter ihm stand, jemand, auf den der Mann gezeigt haben könnte. Aber innerhalb von fünf Metern Distanz war da niemand.
In einer unschuldigen Geste spreizte Sherlock weit die Arme und starrte den Polizisten an, in der Hoffnung, dass der Mann ihn einfach weiterwinken würde. Aber stattdessen befahl ihm der Polizist mit energischer Geste, zum Holzhäuschen zu kommen.
Sherlocks Blick glitt zu dem Mann, der die Beschwerde vorgebracht hatte. Eine Sekunde lang blitzte ein Lächeln in seinem Gesicht auf. Es war das Lächeln eines Mannes, der gerade einen besonders raffinierten Trick abgezogen hatte und nun gar nicht erwarten konnte, das unvermeidliche Resultat mitzubekommen.
Als er merkte, dass Sherlock ihn beobachtete, verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht wie ein Kreidebild, das man von einer Schultafel wischt.
Ein plötzlicher und sehr unliebsamer Gedanke kam Sherlock und er steckte die Hand in seine Jackentasche. Seine Finger schlossen sich um ein Objekt, das eben noch nicht da gewesen war: etwas Quadratisches, aus Leder.
Eine Brieftasche!
Plötzlich sah er alles glasklar vor sich. Das Ganze war eine Falle! Der Mann, der in Sherlock hineingelaufen und dann gleich wieder verschwunden war, musste ihm die Brieftasche in die Tasche gesteckt haben. Der andere – der Mann nämlich, der sich gerade mit dem Polizisten unterhielt – war gar nicht bestohlen worden. Doch in dem Moment, als er gesehen hatte, wie die Brieftasche in Sherlocks Tasche glitt, war er zum Polizisten gegangen, hatte seine Beschwerde vorgebracht und Sherlock als Dieb hingestellt. Man würde seine Taschen durchsuchen und unweigerlich eine Brieftasche darin finden, die der Mann, der die Beschuldigung vorgebracht hatte, dann ebenso unweigerlich als die seine erkennen würde – ob dies nun stimmte oder nicht. Man würde ihn ins Gefängnis werfen, und alle Beweise sprachen gegen ihn.
Es war ein Albtraum!
Der Polizist gestikulierte erneut – diesmal sogar noch energischer. Sherlocks Herz raste. Er spürte, wie sich Schweiß unter den Achseln und auf dem Rücken bildete und sein Hemd auf der Haut klebte.
In einem fremden Land wegen Diebstahls verhaftet? Er würde von Glück sagen können, wenn er jemals wieder das Tageslicht erblickte. Und das setzte immerhin voraus, dass
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