Young Sherlock Holmes 4
Vor allem nicht, wenn sie bewaffnet waren.
»Laufen Sie!«, schrie er. »Kümmern Sie sich um Rufus und Matty. Ich werde auf Virginia aufpassen!«
»Ich kann nicht!«, schrie Crowe mit schreckensbleichem Gesicht.
»Sie müssen!«, schrie Sherlock zurück. Er sah Virginia an, deren Blick panisch zwischen Crowe und Sherlock hin und her sprang. »Vertrau mir – wir müssen weiter runter.«
Sie schaute zu Amyus Crowe, auf dessen Gesicht sich blanke Verzweiflung breitgemacht hatte. Schließlich, nach einer Zeit, die Sherlock wie Stunden vorkam, tatsächlich aber wohl nicht einmal eine Sekunde gedauert haben konnte, nickte er.
Virginia wirbelte herum und lief auf Sherlock zu, während Crowe mit einer für einen Mann seiner Größe erstaunlichen Geschwindigkeit den verborgenen Pfad hinaufkletterte.
Virginia ergriff Sherlocks Hand und stürmte mit ihm zusammen vor ihren Verfolgern davon den Hang hinunter.
Im vollen Lauf warf Sherlock schließlich noch einen Blick über die Schulter zurück. Amyus Crowe, Rufus und Matty waren nun hinter den Felsen verborgen und nicht mehr zu sehen. Die Verfolger hatten Crowe den Pfad hochklettern sehen. Zwei von ihnen folgten ihm, während der andere weiter hinter Sherlock und Virginia herrannte.
Der Hang begann sich vor ihnen abzuflachen. Zu seiner Linken erblickte Sherlock die Kapelle, die er schon auf dem Hinweg gesehen hatte. Bald würden sie wieder im Dorf sein. Ob sie dann wohl ihren Verfolgern entgehen konnten, oder warteten dort möglicherweise bereits weitere von Scobells Männern auf sie?
Sherlocks Hand immer noch umklammernd, zog Virginia ihn plötzlich auf die Kapelle zu. »Vielleicht können wir uns da verstecken«, keuchte sie.
Sekunden später gingen sie hinter einem moosüberwucherten Grabstein in Deckung, der in einem bedenklichen Winkel aus dem Boden ragte. Es war kaum genug Platz für zwei, und sie mussten sich eng aneinanderschmiegen, damit der Stein sie beide verbarg. So eng, dass er ihren schnellen und warmen Atem in seinem Nacken spürte. Stiefeltritte polterten auf steinigem Untergrund vorbei und verklangen schließlich in der Ferne.
»Was jetzt?«, fragte Sherlock, nachdem sie eine Weile nichts mehr gehört hatten.
»Ich denke, wir sollten zusehen, dass wir wieder mit Vater, Rufus und Matty zusammenkommen. Irgendwie.«
Sherlock nickte. »In Ordnung.«
Er drehte den Kopf. Ihre Augen waren nur Millimeter von seinen entfernt.
Er spürte das Verlangen, sie zu küssen, aber stattdessen sagte er nur: »Los, komm.«
Ihr Weg führte sie weiter durch eine unwegsame, mit Ginster und Heidekraut bewachsene Moorlandschaft. Unablässig verfingen sich die Pflanzenhalme an Sherlocks Schuhen, während sie so dahinstapften. Virginias Schuhe hingegen erwiesen sich als sehr viel praktischer, und so musste Sherlock sich ziemlich anstrengen, um mitzuhalten.
Dauernd blickten sie sich dabei in der Gegend um. Aus Angst, dass sie vielleicht doch jemand gesehen hatte, musterten sie argwöhnisch die Gebäude hinter sich sowie eine niedrige Mauer, der sie sich langsam näherten. Aber sie waren allein. Die ganze Landschaft wirkte seltsam verwaist. Ständig fürchtete Sherlock, dass plötzlich irgendwo eine Gestalt aufspringen, auf sie zeigen und etwas rufen würde. Doch nichts passierte.
Die untergehende Sonne warf lange Schatten über das Heidekraut und tauchte alles in tiefes Violett. Die Luft war kalt und roch nach Blumen. Trotz der späten Jahreszeit summten einige Bienen in der Nähe herum. Emsig flogen sie auf der Suche nach Pollen von Blüte zu Blüte.
»Was denkst du?«
Er wandte den Kopf um. Virginia sah ihn fragend an. Sie hatte bemerkt, dass er mit seinen Gedanken woanders gewesen war.
»Ich habe nur über Bienen nachgedacht«, erklärte er.
»Bienen?« Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Wir sind von unseren Freunden getrennt, auf der Flucht vor einer Bande von Mördern, und du denkst über Bienen nach? Ich fass es nicht.«
Er zuckte mit den Schultern, plötzlich im Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. »Ich verstehe Bienen«, sagte er. »Sie sind unkompliziert. Was immer sie auch tun, machen sie aus einem bestimmten, offenkundigen Grund. Sie sind wie kleine Uhrwerke. Sie ergeben einen Sinn.«
»Und Menschen verstehst du nicht?«
Er ging einen Moment weiter, ohne zu antworten. »Warum passiert das hier alles?«, fragte er plötzlich. »Weil Bryce Scobell beschlossen hat, dass er keine Indianer mag und sie deswegen lieber ausrottet, als irgendwo
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