Young Sherlock Holmes 4
Rückzieher machst, wird dir niemand jemals wieder vertrauen.«
»Ich bin ein Erpresser«, stellte der Mann namens Harkness mit ruhiger Stimme klar. »Das Einzige, worin die Leute mir vertrauen, ist, dass ich ihre Geheimnisse enthülle, wenn ich nicht regelmäßig bezahlt werde.« Er seufzte. »Schau mal, während all der Jahre haben wir da eine nette Sache am Laufen gehabt, Schätzchen. Wo immer du tätig warst, hast du Familiengeheimnisse ausgegraben und sie mir verraten, während ich damit regelmäßig ein paar Pfund extra gemacht habe. Aber seit du Wind von diesem angeblichen Schatz bekommen hast, geht alles den Bach runter. Warum können wir es nicht einfach wieder so machen wie früher?«
»Erstens«, sagte Mrs Eglantine mit frostiger Stimme, »bin ich nicht dein
Schätzchen
und werde es auch nie sein. Und zweitens bringt dir die triviale Methode, mit der du die Leute hier im Ort wegen erbärmlicher Diebstähle und ihrer noch erbärmlicheren Affären erpresst, kaum genug ein, um die großen Wetteinsätze zu finanzieren, die du so gerne bei Pferderennen und illegalen Boxkämpfen platzierst. Wenn du jemals was aus dir machen willst, bin ich deine einzige Chance.«
Harkness seufzte. »Du hast eine scharfe, aber sehr überzeugende Zunge, Betty. Also gut – ich zieh’ noch einen Monat mit. Aber nur einen Monat, hörst du? Danach schlage ich meine Haken in das Fleisch der Holmes- Familie und saug so viel Geld aus ihnen raus, wie ich kriegen kann.«
Sie streckte die Hand aus und berührte seinen Arm. »Ich bin dicht dran, Josh – ich weiß, dass ich es bin. Ich brauche nur noch ein klein wenig mehr Zeit.« Sie hielt einen Moment inne. »Und ich muss diese lästige Göre Sherlock aus dem Weg haben. Kannst du das für mich übernehmen?«
»Ich lass das ein paar Burschen von mir erledigen«, versprach er. »Haste Zeit, noch einen Happen zu essen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Diese verdammte Familie wartet auf ihr Abendessen. Ich schwöre dir, Josh, es gibt Momente, da ist mir einfach danach, die ganze Brut zu vergiften und zuzusehen, wie sie sich im Todeskampf auf dem Esszimmerteppich winden. Doch jetzt noch nicht … So, nun muss ich aber zurück.«
»Wir bleiben in Verbindung.« Er lachte. »Lass mich wissen, wenn du deine Goldplatten gefunden hast, von denen du pausenlos redest.«
»Das werde ich.« Sie wandte sich zum Gehen ab, drehte sich dann aber noch einmal um. »Oh, das hätte ich ja fast vergessen. Das hier habe ich im Zimmer eines der Dienstmädchen gefunden.« Sie langte in eine verborgene Falte ihres Reifrockes und holte einen Brief hervor. »Das ist eine Botschaft von einem Jungen, der behauptet, in sie verliebt zu sein.«
»Bin nicht an Techtelmechteln interessiert«, knurrte Harkness.
»Wärst du aber, wenn du wüsstest, dass es sich bei besagtem Jungen um den ältesten Sohn von Farnhams Bürgermeister handelt.«
In plötzlichem Interesse neigte Harkness den Kopf zur Seite. »Der Sohn des Bürgermeisters, der sich mit irgendeinem kleinen Luder von Hausmädchen trifft? Das sollte gut genug für ein paar Pfund extra sein. Der Bürgermeister ist sehr wählerisch, was seinen Umgang anbelangt. Er erzählt jedem, dass sein Sohn in den Adel einheiraten wird.
Damit
wird er unter allen Umständen hinter dem Berg halten wollen.« Er runzelte die Stirn. »Der Junge hat den Brief selbst per Hand geschrieben? Und auch seinen Namen druntergesetzt?«
»Mit Liebe und heißen Küssen.«
Harkness grinste. »Die Leute lernen doch nie dazu, nicht wahr? Ich vertraue niemals etwas dem Papier an, nur für den Fall der Fälle.« Er streckte die Hand aus und nahm den Brief von Mrs Eglantine entgegen. »Danke! Willst du jetzt die Kohle dafür oder soll ich es dem Konto hinzufügen?«
»Bezahl mich später. Sorge nur dafür, dass du es nicht vergisst.«
»Oh, das werde ich nicht. Mein Gedächtnis ist scharf wie eine Rasierklinge.«
Damit trennten sie sich. Während Mrs Eglantine in eine Richtung davoneilte, machte sich Josh Harkness in die entgegengesetzte auf. Fast erwartete Sherlock, dass der Mann versuchen würde, sie auf die Wange zu küssen, jedenfalls dem beinahe freundschaftlichen Gefühlsausbruch am Schluss nach zu schließen. Aber falls ihm die Idee gekommen war, so versuchte er nicht, sie in die Tat umzusetzen.
Sherlocks Blick sprang unsicher zwischen den beiden hin und her. Sollte er Mrs Eglantine folgen oder Josh Harkness? Kurz kam ihm in den Sinn, dass er vielleicht keinem von beiden folgen
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