Young Sherlock Holmes 4
er.
Augenblicklich geriet ein in Dunkel gehüllter Bereich vor ihnen in Bewegung, und eine Gestalt löste sich aus den Schatten. Die Temperatur in der Halle schien schlagartig um zehn Grad gesunken zu sein. »Junger Master Holmes«, sprach eine Stimme in so kaltem Ton, dass man meinen konnte, jeden Augenblick Eiszapfen von der Decke wachsen zu sehen. »Da Sie so entschlossen zu sein scheinen, dieses Haus als Hotel zu betrachten, das Sie nach Belieben betreten und verlassen können, sollten Sie vielleicht für das Privileg Ihres Aufenthalts hier etwas bezahlen.«
»In diesem Fall würde ich doch erwarten, dass die Qualität des leitenden Hauswirtschaftspersonals erheblich besser ist«, konterte Sherlock.
Der Ausdruck auf Mrs Eglantines Gesicht blieb unverändert. Doch Sherlock meinte zu spüren, wie die Atmosphäre in der Halle sogar noch frostiger wurde.
»Mach nur weiter deine dummen Witze, du Balg«, zischte sie. »Amüsier dich drüber, solange du noch kannst. Deine Zeit hier ist bald vorbei.«
»Wenn Sie erwarten, dass Ihr Freund Josh Harkness etwas gegen mich unternimmt, werden Sie sehr enttäuscht sein. Mr Harkness sitzt in Haft und wird so schnell nicht mehr herauskommen.«
»Du lügst«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Aber Sherlock merkte ihr an, dass sie plötzlich in der Defensive war.
»Ich lüge nie«, sagte er nur. »Das überlasse ich Leuten wie Ihnen.« Er schwieg einen Augenblick und überlegte sich seinen nächsten Zug. »Bitte sagen Sie meiner Tante und meinem Onkel, dass ich sie im Speisezimmer zu sprechen wünsche.«
»Sag ihnen das selbst«, erwiderte sie mit einer Stimme, mit der man Glas hätte schneiden können.
»Sie sind die Dienerin hier, nicht ich. Richten Sie meine Bitte aus. Und zwar sofort. Ach, und bitte seien Sie so gut und bitten Cook, uns einen Teller mit Sandwiches und einen Krug Limonade bringen zu lassen. Mein Freund und ich haben Hunger und Durst.«
Die Hauswirtschafterin starrte ihn mit einem Gesichtsausdruck an, der darauf schließen ließ, dass sie ihn gerade neu einschätzte – und dass sie das, was sich ihr dabei offenbarte, ganz und gar nicht mochte. Wortlos drehte sie sich um und verschwand wieder im Schatten.
»Los komm«, forderte er Matty auf. »Machen wir uns bereit.«
Er ging durch die Halle zum Speisezimmer voran. Ihm kam in den Sinn, dass er für die anstehende Konfrontation auch den gemütlicheren Besuchersalon hätte wählen können, in den normalerweise die Gäste gebeten wurden. Aber er wollte die Sache an einem formelleren, weniger behaglichen Ort über die Bühne bringen.
Abgesehen von zwei Kerzenleuchtern und einer Schale mit Obst war der Tisch in der Mitte des Speisezimmers leer. Matty versorgte sich selbst mit einer Birne, während Sherlock auf einem Stuhl am entfernten Ende des Tisches Platz nahm, mit dem zum Fenster einfallenden Licht im Rücken. Matty folgte ihm um den Tisch herum und stellte sich hinter ihn, wobei er sich die Birne schmecken ließ.
Sherlock versuchte, seinen Atem zu beruhigen. Er wusste, was er in den nächsten paar Minuten erreichen wollte. Doch ihm war auch klar, dass er es mit Menschen und nicht mit Schachfiguren zu tun hatte. Und Menschen machten zuweilen das, was man am wenigsten von ihnen erwartete.
Was, wenn Mrs Eglantines Einfluss auf seine Tante und seinen Onkel größer war als erwartet und sich nicht nur auf den Besitz belastenden Materials gründete? Vielleicht würden sie Mrs Eglantine verteidigen, trotz allem, was bereits in diesem Haus vorgefallen war. Vielleicht würden sich die drei sogar gegen ihn verbünden.
Die Tür öffnete sich, und Sherrinford Holmes kam herein, dicht gefolgt von Tante Anna.
»Es ist ungewöhnlich für einen Mann, der Herr in seinem eigenen Haus ist, von seinem Mündel herbeizitiert zu werden«, sagte er in sanftem Ton.
»Wenn Mrs Eglantine den Eindruck erweckt hat, dass ich dich herbeizitiere, Onkel, dann bitte ich um Entschuldigung«, erwiderte Sherlock mit ruhiger Stimme. »Ich wollte mit euch beiden lediglich über eine ernste Sache reden.«
»Hängt das etwa mit dem zusammen, was vorhin in der Bibliothek vorgefallen ist?«, fragte Sherrinford Holmes. »Wenn ja, so erinnere ich mich deutlich, gesagt zu haben, dass wir nicht mehr darüber sprechen wollen.«
»Die Sache betrifft einen Mann namens Josh Harkness«, sagte Sherlock. »Und seinen Einfluss auf diese Familie.« Er hatte das Gefühl, dass er seine Tante und seinen Onkel bitten sollte,
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