Young Sherlock Holmes 4
eine Menge Leute vor Ruin und Verzweiflung bewahrt«, hob Sherlock hervor. »Das scheint mir doch ein faires Geschäft zu sein.«
»Niemand hat dich gefragt.« Harkness veränderte seine Position. »Vor einer halben Stunde war ich noch ein Mann, der zufrieden mit seinem Los war. Jetzt bin ich bettelarm. Und muss wieder ganz von vorn anfangen.«
»Wenn die Leute hier in der Gegend Sie denn lassen.« Betont lässig stieg Sherlock die wenigen Stufen in den zentralen Bereich des Raumes hinunter. Auf dem Laufsteg war er zu ungeschützt. »Wenn sie dahinterkommen, dass Sie keine Macht mehr über sie haben, werden sich einige auf die Suche nach Ihnen machen. Das Beste, was Ihnen bleibt, ist abzuhauen.«
»Da hast du recht«, sagte Harkness und nickte. »Aber ich werde so viel von deiner Haut mitnehmen, wie sich nur von deinem Körper schälen lässt. Und wenn ich mal ein gemütliches Plätzchen zum Niederlassen finde, werd’ ich sie gerben und mir eine Weste daraus machen lassen. Damit alle Leute mich sehen können und wissen, was passiert, wenn man Josh Harkness in die Quere kommt.«
Bevor Sherlock etwas erwidern konnte, zog Harkness die rechte Hand über die Schulter zurück, ließ sie urplötzlich wieder vorschnellen und schleuderte eines der Flensmesser auf Sherlocks Kopf. Fast träge schien es durch die Luft zu wirbeln. Sherlock duckte sich, und die Klinge bohrte sich in den Holzbottich hinter ihm.
Mit einer lässig wiegenden Bewegung brachte Harkness das verbliebene Messer auf Hüfthöhe und warf es dann von der linken in die rechte Hand.
»Du kannst nicht ewig wegrennen, Söhnchen. Aber versuch’s ruhig. Dadurch erhöht sich nur mein Vergnügen.«
Sherlock wirbelte herum und versuchte, das Messer aus dem Bottich zu ziehen. Aber es steckte fest. Einer plötzlichen Intuition folgend, warf er seinen Kopf zur Seite, gerade in dem Moment, als das zweite Messer an seinem Kopf vorbeipfiff. Dieses traf zuerst den Bottichgriff, prallte ab und landete klimpernd auf dem Boden. Sherlock bückte sich, um es aufzuheben. Aber Harkness kam mit ausgestreckten Armen auf ihn zugestürmt. Mit einem Hechtsprung aus der Hocke, gefolgt von einer Rolle vorwärts, brachte sich Sherlock zunächst aus Harkness’ Reichweite.
Der Erpresser hob das Messer vom Boden auf, zerrte das andere mit außergewöhnlicher Kraft aus dem Bottich und wandte sich wieder Sherlock zu. »Je länger der Kampf dauert«, knurrte er, »desto besser wird mir die neue Weste stehen.«
»Träumen Sie weiter«, konterte Sherlock. »Die einzig neue Kleidung, die Sie kriegen, ist eine Sträflingsuniform.« Er langte zur Seite nach der Leiter, mit der Harkness zuvor zum Bottichrand emporgestiegen war. Er packte sie an der obersten Sprosse und schwang sie herum, so dass das andere Ende auf Harkness zeigte. Die Augen des Mannes weiteten sich nun noch mehr. Wieder riss er seine rechte Hand zurück, um das Messer zu werfen. Aber Sherlock stürmte auf ihn zu, traf ihn mit der Leitersprosse genau gegen die Brust und stieß ihn zurück. Überrumpelt stolperte Harkness mit rudernden Armen nach hinten. Bevor er das Gleichgewicht wiederfand und die Leiter zurückstoßen konnte, stolperte er mit der rechten Ferse über den matschigen Papier- und Kartonhaufen, den er aus dem Bottich geholt hatte.
Er rutschte aus und stürzte. Mit einem heftigen
Knack
schlug sein Hinterkopf auf dem Boden auf, und gleich darauf verdrehten sich seine Augen in den Höhlen.
Bevor Harkness sich wieder erholen konnte, warf Sherlock die Leiter zur Seite, ließ sich auf die Brust des Mannes fallen und presste dessen Arme mit den Knien auf den Boden. Er klaubte die Messer aus Harkness’ kraftlosen Händen und hielt sie, die Spitzen auf Harkness’ Gesicht gerichtet, triumphierend in die Höhe. Entsetzt starrte Harkness zu ihm empor. Bevor er sich freikämpfen konnte, ließ Sherlock die Klingen rechts und links knapp an dessen Hals vorbeisausen. Die Messer bohrten sich in das Holz und nagelten den Stoff seiner Jacke im Boden fest.
Sherlock rappelte sich wieder auf und starrte auf den Mann hinab. »Hier wird die Polizei Sie finden«, sagte er. »Und denken Sie in Zukunft daran, dass Hasen manchmal auch zu Jägern werden.«
Mit diesen Worten wandte er sich um und lief zur Tür.
5
Nachdem er die Polizeiwache verlassen und die Beamten mit einer leicht überarbeiteten Version dessen versorgt hatte, was geschehen war, blieb Sherlock erst einmal stehen und sog die frische Luft ein. Es war, als wäre er
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