Young Sherlock Holmes 4
gut miteinander klarkommen.«
»Tun sie auch nicht«, gab Sherlock zu. »Sie mögen sich wie Katze und Hund, aber …« Er hielt inne und dachte kurz nach. »Aber ich bin ziemlich sicher«, fuhr er schließlich fort, »dass mein Bruder Rufus Stone dafür bezahlt, dass er hier in Farnham herumhängt und darauf achtet, dass ich nicht in Schwierigkeiten gerate. Mycroft glaubt immer noch, dass die Paradol-Kammer im Begriff ist, irgendetwas gegen mich auszuhecken. Wenn ich Rufus erzähle, dass wir beide nach Edinburgh gehen, wird er mitkommen müssen, oder? Wenn er mich davor bewahren soll, in Schwierigkeiten zu geraten, wird er keine andere Wahl haben.«
»Wird er dich nicht eher einfach daran hindern, in den Zug zu steigen?«
Sherlock lächelte. »Du kennst doch Rufus Stone. Du weißt, wie er ist. Vor die Wahl gestellt, mich davon abzuhalten, nach Schottland zu fahren, oder mitzukommen und ein Abenteuer zu erleben – was meinst du, wofür er sich da entscheiden wird?«
»Guter Punkt«, gab Matty zu. »Wann sagen wir’s ihm?«
»Lass uns vorher noch mehr Informationen sammeln. Ich will mich mal auf dem Bahnhof in Farnham umhören. Wenn sich Mr Crowe und Virginia nach Schottland aufmachen, werden sie das nicht in einem Karren oder auf dem Rücken eines Pferdes tun. Da wären sie zu ungeschützt. Nein, sie werden den Zug nehmen.«
Matty runzelte die Stirn und dachte gründlich darüber nach, was Sherlock gerade gesagt hatte. Als er ihn so betrachtete, spürte Sherlock plötzlich, wie ihn ein brüderliches Gefühl für seinen Freund durchströmte. Matty war auf eine Weise zu einem Teil seines Lebens geworden, die er nie für möglich gehalten hätte. Im Vergleich zu ihm war Matty in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil: instinktiv handelnd, wo Sherlock mit Logik vorging, emotional, wo er kühle Ruhe bewahrte, impulsiv, wo er stets die Optionen gegeneinander abwog. Aber Matty hatte einen scharfen Verstand, und er war unglaublich loyal. Er war das für Sherlock, was einem besten Freund am nächsten kam, und Sherlock fragte sich, ob Matty wohl immer da sein würde.
»Wenn Mr Crowe zwei Karten nach Edinburgh am Schalter kauft«, sagte dieser nun nachdenklich, »würde er eine Spur hinterlassen. Falls die Amerikaner ihn verfolgen, müssten sie sich nur am Kartenschalter erkundigen, um herauszufinden, wohin er verschwunden ist. Ist ja nicht gerade so, dass Mr Crowe sehr unauffällig ist.«
»Nein«, stimmte Sherlock zu. »Was also würde er tun?«
Matty zuckte die Achseln. »Keine Ahnung.«
»Vermutlich würde er zwei Karten zu einer Zwischenstation kaufen, sagen wir mal Guildford. Aber er und Virginia könnten schon früher aus dem Zug steigen – vielleicht in Ash Wharf. Dort könnte er dann zwei Karten bis nach Edinburgh kaufen. Ein Verfolger würde von Farnham direkt bis nach Guildford fahren und dort seine Spur verlieren. Denn am Fahrkartenschalter in Guildford würde sich niemand an ihn erinnern.«
»Clever«, meinte Matty zustimmend.
»Tatsächlich«, fuhr Sherlock fort, »würde ich an seiner Stelle zwei Fahrkarten nach Guildford kaufen, in Ash Wharf aussteigen, zwei Karten nach London kaufen, und erst wenn ich dort angekommen bin, zwei weitere nach Edinburgh. Das verwischt die Spur noch mehr.«
»Bist du sicher, dass es das ist, was er getan hat?«
Sherlock nickte. »Er ist ein Jäger. Er kennt die Spuren, die gejagtes Tier hinterlassen kann, und er wird sorgfältig darauf achten, nicht das Gleiche zu machen.«
»Und was jetzt?«
»Jetzt gehen wir nach Farnham.«
Die beiden bestiegen wieder die Pferde und ritten auf das Zentrum von Farnham zu, nicht ohne dass sich in Sherlock ein Anflug von Schuldgefühl regte. Er hasste es, das Cottage so leer und unbewacht zurückzulassen. Wer konnte schon wissen, was dort bis zu Crowes und Virginias Rückkehr alles passierte. Denn zurückkehren
würden
sie, da war er sich sicher. Dafür würde
er
schon sorgen.
Der Angestellte am Fahrkartenschalter in Farnham – ein hochgewachsener älterer Mann mit buschigen weißen Koteletten – bestätigte, dass ein großer Mann mit weißem Anzug und weißem Hut, begleitet von einem Mädchen, das wie ein Junge gekleidet war, am Tag zuvor zwei Fahrkarten gekauft hatte. Mit Zufriedenheit nahm Sherlock darüber hinaus zur Kenntnis, dass die Karten mit dem Bestimmungsziel Guildford erworben worden waren. So weit hatte er also mit seinen Vermutungen ins Schwarze getroffen.
»Sieh mal«, sagte Matty und wies zur anderen
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