Young Sherlock Holmes 4
London, ausgehend von der Überlegung, dass sie die Tickets von London nach Edinburgh bei ihrer Ankunft dort kaufen konnten und es außerdem ein wenig peinlich und unter Umständen auch gefährlich wäre, dort eine Spur zu hinterlassen, wo Amyus Crowe dies sorgsam vermieden hatte. Sherlock erbot sich, etwas von dem Geld zu verwenden, das Mycroft ihm vor kurzem geschickt hatte, aber Stone zuckte nur die Achseln. »Dein Bruder zahlt mir ein regelmäßiges Gehalt dafür, dass ich dich im Violinenspiel unterrichte«, betonte er. »So oder so ist es sein Geld, mit dem wir die Tickets kaufen. Es spielt wirklich keine Rolle, wer von uns es zur Verfügung stellt.«
Da während der nächsten Stunde kein Zug abfuhr, schlug Rufus Stone vor, sich vor der Abfahrt noch mit einer Tasse Tee und einem Schinkensandwich zu stärken. Begeistert stimmten die beiden Jungen zu. Die nächste Teestube befand sich gleich auf der anderen Straßenseite. Doch während die drei es sich schmecken ließen, starrte Sherlock aus dem Ladenfenster und bemerkte zwei Männer, die vor dem Bahnhof herumstanden und sich umblickten. Einer von ihnen trug schwarzes Haar, das er zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden hatte; der andere wies Pockennarben auf Wangen und Stirn auf.
»Sind das die beiden, von denen ihr glaubt, dass sie auf der Suche nach Amyus Crowe sind?«, fragte Rufus, der Sherlocks Blickrichtung gefolgt war.
Matty nickte.
Sie beobachteten, wie sich die Männer zum Fahrkartenschalter begaben und dem Angestellten eine Frage stellten. Der Mann schüttelte den Kopf. Einer der beiden fragte ihn etwas anderes und schob Geld über den Tresen. Der Angestellte riss zwei Fahrkarten von einem Streifen ab und händigte sie aus.
»Sie haben Karten gekauft«, stellte Rufus fest. »Das bedeutet, dass sie vermutlich mit demselben Zug wie wir fahren. Entweder sind sie über Edinburgh im Bilde oder sie verlegen ihre Suche nach Guildford. Was auch immer der Grund ist, wir sollten zusehen, dass wir ihnen nicht in die Quere kommen.«
Nachdem sie ihr kleines Mahl beendet hatten, kehrten sie wieder über die Straße zum Bahnhof zurück. Ein paar Minuten später schleppte sich der Zug schnaufend in den Bahnhof und kam am Bahnsteig zum Halten: ein von Dampf umwabertes Ungeheuer aus schwarzem Eisen, das fauchte und zischte wie ein biblischer Dämon. Die drei fanden ein Abteil für sich. Sherlock hielt Ausschau nach den beiden Amerikanern, aber er bekam nicht mit, an welcher Stelle sie den Zug bestiegen – wenn sie es denn überhaupt getan hatten.
Inzwischen war Sherlock an Zugreisen gewöhnt. Eine Weile lang ließ er sich von den Eindrücken der vorbeihuschenden Landschaft gefangennehmen. Doch als das zu langweilig wurde, wartete er, bis sie die nächste Station erreichten – die sich als Guildford herausstellte und verließ rasch den Zug, um auf dem Bahnsteig bei einem Verkäufer eine Zeitung zu erwerben. Es war die Londoner Ausgabe der
Times
, die in größeren Packen vermutlich frühmorgens per Bahn dorthin gebracht worden war.
Der Zug ließ gerade in einer großen weißen Wolke Dampf in Richtung Bahnsteig ab, als sich Sherlock vom Stand des Zeitungsverkäufers abwandte. Während er entlang des langen hölzernen Walles der Zugwaggons zurückging, wehte eine plötzliche Brise den Dampf beiseite, und er sah einen der Amerikaner auf dem Bahnsteig dahinschlendern. Es war der größere Mann, derjenige mit den schwarzen, von grauen Strähnen durchwirkten Haaren und dem hässlichen Narbengewebe an der Stelle des fehlenden rechten Ohres. Er kam aus Richtung des Fahrkartenschalters. Sein Kumpan – der Mann mit den Pockennarben auf den Wangen – stand an einer Abteiltür und hielt sie auf, so dass der Zug nicht abfahren konnte, bevor sein Freund wieder an Bord war. Als der Schwarzhaarige sich seinem Begleiter näherte, schüttelte er den Kopf. Wonach auch immer er gesucht hatte – wahrscheinlich nach Informationen über Amyus Crowe, wie Sherlock vermutete –, er schien enttäuscht zu sein.
Als die beiden den Zug wieder bestiegen und Sherlock sich zu seinem Abteil begab, fragte er sich, ob die Männer wohl von Matty, Rufus Stone und ihm wussten.
Rufus hatte nicht viel Zeit mit Mr Crowe verbracht, aber Sherlock und Matty waren regelmäßig in seiner Begleitung gewesen. Die meisten Bewohner von Farnham mussten Sherlock und Mr Crowe irgendwann einmal zusammen gesehen haben, und Leute in Kleinstädten waren unverbesserliche Klatschbasen: ein Phänomen, das
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