Young Sherlock Holmes 4
das Meer hinabblickten. Hin und wieder schaute Sherlock über die Schulter zurück und betrachtete die Landschaft. Das Meer wirkte wie ein sich langsam bauschendes Tuch – von oben betrachtet allerdings nun grau, statt grün, wie es noch von unten auf dem Weg ins Dorf den Anschein gehabt hatte. Und er konnte dunklere Bereiche ausmachen, dort, wo vermutlich der flache sandige Meeresboden jäh in die Tiefe abfiel. Der Uferbereich war durch einen steinernen Kai befestigt, an dem etliche Fischerboote vertäut waren, deren Masten munter auf und ab tanzten, während die Wellen heranrollten.
Alles in allem war es ein außergewöhnlich friedvoller Anblick. Ungeachtet der Schmerzen in Brust und Beinen spürte Sherlock, wie sich der feste Griff löste, der die ganze Zeit sein Herz umklammert zu haben schien, und wie es aussah, ging es Matty genauso.
Sie kamen an einer kleinen steinernen Kapelle und einem Friedhof vorbei, dem höchsten Punkt des eigentlichen Dorfes. Anschließend setzten sie ihren Aufstieg durch hohe Gräser und Disteln fort. Das Geschrei der Möwen begleitete sie, und als Sherlock wieder einmal zurückblickte, sah er, dass sie mittlerweile so hoch geklettert waren, dass er auf die Möwen über dem Meer hinunterschauen konnte.
Nach zwanzig Minuten anstrengender Wanderung gelangten sie zu einer Stelle, an der der Berg sich zu beiden Seiten jäh erhob. Sie betraten eine enge Schlucht, deren Boden vor ihnen leicht anstieg, während rechts und links steile Klippenwände aufragten. »Vor uns is ’n schwieriger Anstieg. Macht euch bereit.«
Der Junge hatte recht. Nachdem der Pfad ein paar hundert Meter sanft emporgeführt hatte und die Klippen auf beiden Seiten immer näher herangerückt waren, kamen sie zu einer Stelle, an der der Boden vor ihnen auf einer Länge von etwa vier Metern plötzlich steil in die Höhe führte. Zwar nicht so steil wie die Klippen zu beiden Seiten, aber immer noch beachtlich. Sie hatten keine andere Wahl, als sich, mit Händen und Füßen zugleich kletternd, an den Aufstieg zu machen.
Oben angekommen blickte Sherlock erst einmal zurück. Er war überrascht, wie hoch sie mittlerweile waren. Weit in der Ferne konnte er die dunkle Linie erkennen, an der der graue Himmel auf den grauen Ozean traf.
Der Weg vor ihnen verengte sich sogar noch weiter und zweigte jäh nach rechts ab, so dass das Ende der Schlucht – wenn es das denn überhaupt gab – verborgen war. Erschöpft von der Kletterei schleppten sie sich weiter.
Ein paar Minuten später wandte Sherlock sich erneut um. Er konnte den Rand der steilen Stelle erkennen, an der sie soeben hochgeklettert waren. Doch ansonsten war nichts weiter zu sehen als der bloße Himmel, da der Boden an der Stelle zu steil abfiel.
Als sie die Rechtskurve passiert hatten, kam endlich ein einsames Cottage in Sicht. Es war aus dem üblichen grauen Granitstein gebaut, der durch zahlreiche Stürme über die Jahre ein ziemlich verwittertes Aussehen angenommen hatte, und wie es dort so an den Berghang geschmiegt dastand, hätte man fast meinen können, es wäre direkt aus dem Fels gewachsen. Das Cottage war in einer v-förmigen Nische errichtet worden, die zugleich das abrupte Ende der Schlucht markierte. Das Gelände vor dem Häuschen war von Felsbrocken unterschiedlichster Größe übersät, die im Laufe der Jahre von den steilen Klippenwänden abgebrochen waren. Zu beiden Seiten ragten steile Felswände bis zu der Stelle in die Höhe, an der der Berghang begann. Wenn das der Ort war, an dem Amyus Crowe sich versteckt hielt, konnte Sherlock dessen Wahl definitiv gutheißen. Als einzigen Zugang gab es nur die Route den Berg hinauf, so dass man sich dem Cottage lediglich von vorne nähern konnte. Ansonsten war es rechts, links und hinten von blanken Felswänden umgeben, und jeder, der versuchte, dort hinunterzuklettern, würde sein Leben riskieren.
Der Junge, der sie führte, blieb plötzlich stehen – im Sichtfeld der Cottagefenster. Er stand da mit Sherlock, Rufus und Matty, die sich hinter seinem Rücken drängten, und wartete, bis sich eines der Fenster öffnete und gleich darauf wieder schloss. Wie es aussah das Signal, dass die Luft rein war und sie näherkommen konnten. Plötzlich blitzte in Sherlocks Kopf ein Bild von Amyus Crowe auf, wie er im Cottage mit einem großkalibrigen Gewehr in der Hand da hockte und aus dem Fenster zielte. Hätte sich jemand dem Cottage genähert, ohne stehen zu bleiben, um identifiziert und per Signal zum
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