Young Sherlock Holmes 4
Weitergehen aufgefordert zu werden, würde Crowe das Feuer eröffnen. Da hatte Sherlock keinen Zweifel.
Der Junge drehte sich um und sagte: »Der große Mann meint, es is in Ordnung, wenn ihr reingeht.«
»Danke«, sagte Sherlock. Spontan langte er in seine Tasche und holte eine Half-Shilling-Münze hervor. »Wir wissen deine Hilfe zu schätzen«, fügte er hinzu und hielt ihm die Münze hin.
Der Junge beäugte sie sehnsüchtig. »Der große Mann bezahlt uns gut genug«, antwortete er schließlich und behielt seine Arme krampfhaft an der Hosennaht. »Wer Geld von zwei Herren nimmt, dem kann keiner von beiden mehr traun«, sagte er. Sherlock nickte und zog die Hand wieder zurück. »Guter Ratschlag«, sagte er.
Pfeifend machte sich der Junge wieder auf den Rückweg den Berg hinunter.
»Und was jetzt?«, fragte Matty.
»Jetzt werden wir rausfinden, was es mit der ganzen Sache auf sich hat«, erwiderte Sherlock und ging aufs Cottage zu.
12
Die letzten paar Meter waren vielleicht die nervenaufreibendsten, die Sherlock jemals zurückgelegt hatte. Er hatte keine Ahnung, was für ein Empfang ihn erwartete und ob Amyus Crowe überhaupt erfreut wäre, ihn zu sehen. Zudem wusste er nicht, ob Virginia da sein würde oder ob sie anderswo versteckt gehalten wurde. Und vor allem quälte ihn die Frage, ob Mr Crowe und Virginia jemals wieder nach Farnham zurückkehren würden oder ob dies lediglich ein Zwischenstopp war, bevor sie das Land endgültig verließen. Er hatte einfach nicht genügend Informationen, auf Basis derer sich eine eindeutige Schlussfolgerung ziehen ließ, und das bereitete ihm ein äußerst unbehagliches Gefühl.
Mit pochendem Herzen erreichte er die Tür. Sie war geschlossen. Er klopfte.
»Komm rein!«, hörte er von innen eine vertraute Stimme.
Sherlock schob die Tür auf und ging voran. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sich seine Augen an die Dunkelheit im Cottage angepasst hatten – eine bewusst von Crowe in Szene gesetzte List, wie er vermutete. Als er schließlich alles richtig erkennen konnte, sah er, dass Crowe auf der anderen Seite des Raumes stand. Er trug einen dunklen Anzug und hielt einen Revolver in der Hand.
»Gut gemacht«, sagte Crowe. »Du hast die Rätsel gelöst. Dachte ich mir doch, dass du es schaffst.«
»Das war nicht so schwer«, erwiderte Sherlock und zuckte die Achseln.
»Nicht für dich vielleicht.« Crowe wandte den Blick zu Sherlocks Begleitern. »Der junge Master Arnatt, herzlich willkommen in meiner vorübergehenden Unterkunft. Und Mr Stone ebenso – macht es euch alle bequem. Ich werde hier weiter das Fenster im Blick behalten, wenn ihr nichts dagegen habt. Ich erwarte keine weiteren Gäste, aber man kann nie wissen, wann womöglich Besucher aufkreuzen. Kann ich euch etwas zu trinken anbieten, Wasser vielleicht?«
»Nach dem Marsch«, antwortete Rufus Stone, »wäre ein Drink sehr willkommen. Ich vermute mal nicht, dass Sie Bier haben? Oder vielleicht Apfelmost? Eine Flasche Apfelmost würde mir jetzt wie Öl die Kehle hinunterrinnen.«
Crowe lächelte. »Könnte sein, dass sich so was in der Art hier irgendwo auftreiben lässt.« Er erhob die Stimme. »Ginny, du kannst jetzt rauskommen. Wir haben Gäste.«
Eine Tür hinter Crowe öffnete sich, und Virginia kam herein. Obgleich es ziemlich dunkel im Raum war, schien ihr Haar wie Feuer zu leuchten. In ungewöhnlicher Schüchternheit hatte sie die Augen auf den Boden gerichtet, aber nach ein paar Sekunden hob sie den Blick und schaute Sherlock an.
Und dann kam sie förmlich durch den Raum auf ihn zugeflogen, schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn. Er hatte davon geträumt, wie es wohl sein mochte, sie zu küssen. Aber die Realität war um so vieles unglaublicher, als er es sich jemals vorgestellt hatte. Das Gewicht ihres Körpers in seinen Armen, die Wärme ihrer Lippen, die sich auf seine legten, der Duft ihrer Haare … es fühlte sich einfach überwältigend an. Sein Verstand war nicht sicher, was zu tun war. Doch plötzlich wurde ihm bewusst, dass sein Körper, ohne auf Instruktionen zu warten, ihren Kuss bereits erwiderte. Urplötzlich rückte sie jedoch von ihm ab, ohne ihn allerdings von sich zu stoßen. Vielmehr trat sie einfach nur ein wenig zurück. Er hätte es vielleicht als Abweisung empfunden, hätte sie ihre Hände nicht auf seinen Armen ruhen lassen. Sie musterte ihn aus ihren unergründlichen violettfarbenen Augen, und er sah, dass sie mit den Tränen kämpfen musste.
»Du bist
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