Young Sherlock Holmes 4
unweit einer Hügel- oder Bergspitze suchen, der nur durch eine Schlucht oder steile Senke zu erreichen ist, so dass jeder, der sich ihm nähert, gezwungen ist, von vorne zu kommen.«
»Das schränkt die Suche ein«, meinte Rufus. »Wir können hier mal herumfragen, ob es Cottages gibt, auf die die Beschreibung passt.«
»Ich weiß was Besseres«, sagte Matty.
»Und zwar?«
»Kinder in meinem Alter.« Zur Betonung tippte Matty sich mit dem Daumen gegen die Brust. »In jeder Stadt und jedem Dorf gibt’s Kinder wie mich. Die kommen überall hin und kriegen alles mit. Ob man will oder nicht. Wir treiben eines davon auf und drücken ihm ein Sixpence-Stück in die Hand. Es wird schon wissen, wo Mr Crowe sich versteckt.«
»Ich glaube, wir werden es noch leichter haben«, fügte Sherlock hinzu. »Denn vermutlich wird er sie sogar bezahlen. Mr Crowe weiß, dass Straßenkinder«, er warf Matty einen entschuldigenden Blick zu, »sich überall herumtreiben und alles mitkriegen. Er wird jedem von ihnen einen Sixpence geben, um nach Fremden Ausschau zu halten. Und ebenso nach uns.«
Begeistert von dieser Strategie hielten sie auf die Mitte des Dorfes zu. Wann immer sie an einem Kind mit ungewaschenem, zerzaustem Haar und verschmutzter Kleidung oder einer ganzen Gruppe davon vorbeikamen, glitt Matty vom Karren und begab sich zu ihnen, um sich mit ihnen zu unterhalten.
Doch jedes Mal, wenn er zurückkam, schüttelte er nur den Kopf und erklärte, dass sie nicht bereit waren zu reden. Sherlock jedoch registrierte unwillkürlich, dass, immer wenn sich ihr Karren entfernte, sich das einzelne Kind oder jemand aus der Gruppe davonstahl. Und alle machten sich mehr oder weniger in dieselbe Richtung auf.
»Sollen wir einem von denen folgen?«, fragte Rufus nach einer Weile, als sie auf einem Schotterweg in Nähe der Dorfmitte haltmachten.
»Nein«, sagten Sherlock und Matty wie aus einem Mund.
»Vermutlich melden sie das Ganze erst einmal einem anderen Jungen, einem älteren, der sozusagen als zentraler Nachrichtenpunkt dient«, erklärte Sherlock.
»Und der wird einen Läufer zu Mr Crowe schicken«, fügte Matty hinzu. »Sobald wir dem älteren Jungen auf die Pelle rücken, wird der sich ein anderes Plätzchen suchen und abhauen. Und dann sind wir genauso schlau wie vorher.«
»In Anbetracht von Mr Crowes Spionagenetzwerk«, sagte Sherlock, »sind wir besser dran, wenn wir hier warten. Sobald ihn die Nachricht erreicht hat, dass wir hier sind, wird er jemanden schicken, der uns auf den Zahn fühlt.«
Und tatsächlich näherte sich ihnen einige Zeit später ein schmutziger, verwahrlost aussehender Junge. Seine Füße waren nackt und fast schwarz vor Dreck.
»Tach!«, begrüßte Rufus ihn und berührte mit der Hand die Stirn.
»Ich hab ’n paar Fragen«, erwiderte der Junge in einem breiten schottischen Akzent.
»Schieß los.«
»Wie heißt das Pferd von der Lassy?«
»Lassy?«, fragte Sherlock verblüfft.
»Schottisch für Mädchen«, sagte Matty. »Virginia.«
»Oh.« Sherlock erhob die Stimme. »Es heißt Sandia.«
»Aye. Und was is der Name von deinem Pferd?«
Sherlock lächelte. Das war mittlerweile zu einem Insiderwitz zwischen ihm und Virginia geworden. »Lange Zeit hat es gar keinen Namen gehabt, aber schließlich habe ich es Philadelphia genannt.«
»Aye«, bestätigte der Junge. »Und wie is dein zweiter Name?«
»Scott«, antwortete Sherlock. »Ich heiße Sherlock Scott Holmes.«
»Dann kommt mit. Ich werd euch hinbringen, wo ihr hinwollt.«
Als Rufus die Zügel schnalzen ließ, um die Aufmerksamkeit des Pferdes zu erregen, fügte der Junge hinzu: »Lass ma den Karren besser hier. Es geht bergauf.«
Er führte sie von der Straße fort zu einem Berghang und machte sich, von Fels zu Fels, von Grasbüschel zu Grasbüschel kraxelnd, sogleich an den Aufstieg. Sherlock, Matty und Rufus folgten, so gut sie konnten. Der Weg war steil, und Sherlocks geschundenem Körper fiel es nicht leicht mitzuhalten. Es waren erst ein paar Minuten vergangen, als sein Atem bereits in schweren Stößen kam und er tief in seiner Brust ein Rasseln spürte. An den Stellen, wo sich die Fesseln ins Fleisch gegraben hatten, fingen seine Knöchel an zu schmerzen, und wenig später durchzuckten stechende Krämpfe seine Wadenmuskeln. Aber er ging weiter. Er hatte keine Wahl. So wie es aussah, hatte auch Rufus stark zu kämpfen.
Ihr Weg führte sie an mehreren Cottages vorbei, die, eng an den Berghang geschmiegt, auf das Dorf und
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