Zaduks Schädel
alle Schutzgeister anrief, die sie kannte.
Der Priester beobachtete die Zunge. Sie schien sich auf die neue Nahrung zu freuen, denn sie bewegte sich von einer Seite zur anderen und schlug dabei aus wie ein Pendel. Manchmal schnellte sie auch vor und huschte über die untere Zahnreihe hinweg. Dann glitt sie wieder zurück, um Sekunden später den nächsten Versuch zu unternehmen. Die Zunge war da, sie suchte, sie tastete, und Asianis schob das Mädchen vor.
»Dort hinein!« flüsterte er. »Dort wirst du hineingestoßen, um ihn, den großen Zaduk gnädig zu stimmen. In Baals Namen, du mußt sterben, Sklavin!«
Er stieß sie vor. Sie konnte sich nicht wehren, die Hände waren gebunden, aber auch die Zunge schnellte plötzlich aus dem Maul, als besäße sie die Länge einer Riesenschlange.
Sie peitschte über den Kopf des Mädchens hinweg auf den wesentlich größeren Priester zu.
Der wußte plötzlich, daß er sich diesmal in Zaduk geirrt hatte, daß dieser Dämon unberechenbar war.
Das Wissen kam zu spät.
Zuerst spürte er den harten Schlag am Hals, dann drehte sich die lange Zunge um seine dünne Haut und zog sie noch stärker zusammen. Er bekam keine Luft mehr, seine Hände rutschten vom Körper der Sklavin ab, die Augen traten ihm aus den Höhlen, und er spürte gleichzeitig den Ruck, als die Zunge ihre Kraft bewies und dafür sorgte, daß er den Boden unter den Füßen verlor.
Auf einmal schwebte er, und die verfluchte Zunge zerrte ihn einfach weiter.
Er röchelte, er gurgelte, er konnte trotzdem überhaupt nichts mehr tun. Sein Kampf war schon verloren, bevor er überhaupt begonnen hatte. So mußte die Sklavin zusehen, wie die Zunge den Priester zur Seite und an ihr vorbeizerrte, noch einmal drehte, damit sie das Opfer in ihr offenes Maul ziehen konnte.
Sie ließ sich Zeit.
Das Mädchen konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und sank zusammen. Aus ihrer knienden Haltung beobachtete sie den fürchterlichen Vorgang.
Asianis versuchte sich zu wehren. Seine Schläge waren zu matt, um etwas erreichen zu können. An einem der spitzen Zähne riß er sich die Haut auf. Die Wunde war ein blutender Streifen auf seinem Handrücken, wo das Blut hervorquoll und vor dem offenen Maul zu Boden tropfte. Noch ein Ruck, und der Priester befand sich inmitten des Mauls. Der Schlund schluckte ihn wie ein Tunnel. Zaduks Killerzunge hatte sich aufgerollt, und dann klappte der Oberkiefer langsam zu. Schreien konnte Asianis nicht, weil die Zunge ihm die Luft abschnürte. Was später zwischen den malmenden Geräuschen zu hören war, glich einem Todesröcheln.
Dann wurde es still — totenstill…
Die Sklavin kniete noch immer in sich zusammengesunken vor dem mächtigen Totenschädel. Ihr Denken war ausgeschaltet. Irgendwann jedoch begriff sie, was geschehen war, daß Zaduk sie gerettet und verschont hatte. Zuerst wollte sie es nicht glauben, doch als sie den Kopf hob, da sah sie das geschlossene, lippenlose Maul. Aus einer kleinen Lücke zwischen den Knochen rannen dünne, rote Streifen hervor. Das Blut des Priesters…
Dieser Anblick versetzte ihr einen Schock. Sie warf sich zurück, fiel auf den Rücken, rollte sich zur Seite und schaffte es schließlich, mit einem gewaltigen Satz auf die Füße zu kommen.
Ein panikhafter Ausdruck entstellte ihr Gesicht, als sie anfing zu rennen. Das mächtige Portal hatte sich nicht geschlossen. So konnte die Sklavin ins Freie rennen.
Sie würde nicht mehr zurück in die Stadt laufen. Sie wollte weg, nur weg von diesem Ort des Schreckens. Noch einmal schrak sie zusammen, als sich das Tor des Tempels schloß. Dann lief sie, was ihre Beine hergaben.
Zaduk aber hatte wieder einmal bewiesen, wie unberechenbar er war. Denn er gehörte zu den eigentlich Mächtigen, die es schafften, alle anderen zu überleben.
Zeit spielte für ihn keine Rolle…
***
Es war die Zeit, als der König David das Reich der Israeliten zur großen Blüte gebracht hatte und die Berichte über gewonnene Schlachten von einem Lagerfeuer zum anderen getragen wurden.
Es war auch die Zeit, wo der König sich um andere Frauen kümmerte und ziemlich unleidlich war.
Und es war die Zeit, wo man ihm die Nachricht überbrachte, daß man einen gewaltigen Schädel unter dem Wüstensand vergraben gefunden hatte.
»Welch ein Schädel, Hauptmann?«
Der Offizier wußte es nicht. »Wir haben noch keine Weisen zu Rate gezogen, König.«
»Dann tut es.«
Der Hauptmann strich über seine Augenbrauen. »Er ist sehr groß,
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