Zaduks Schädel
Zaduk nur das Gastrecht.
Den Sack hatte der Priester von der Schulter gleiten lassen und auf den Boden gestellt. Er wartete noch einige Minuten, bis er auf das Portal zuging und den Sack hinter sich herschleifte, hinweg über Steine und Kanten, durch Rinnen, die mit Staub gefüllt waren, der nun in die Höhe wirbelte.
Außer ihm befand sich niemand in der Nähe dieses mächtigen Bauwerks, an dem Asianis seine Blicke hochgleitcn ließ. Der Tempel war etwas Wunderbares, ein regelrechtes Kunstwerk. Die Menschen, die ihn geschaffen hatten, konnten stolz auf ihn sein.
Dennoch strahlten seine Mauern etwas Unheimliches und Gefährliches ab. So als wäre sein Innenleben auch nach außen gedrungen, um einen Schirm des Grauens um die Mauern zu legen.
Der Babylonier öffnete die Tür. Asianis wußte, wo er seine Hand hinzulegen hatte, um Bewegung in das gewaltige Tor zu bekommen. Er brauchte nicht einmal stark zu drücken, die Berührung allein reichte fast aus, damit die rechte Hälfte nach innen schwang und die eingravierte Fratze Baals in der Mitte teilte.
Außer einem leisen Kratzen gab die Tür keinen Laut von sich, als sie in die Finsternis hineinschwang.
Nein, es war nicht nur dunkel zwischen den mächtigen Innenmauern, etwas Helligkeit gab es schon.
Kein normales Licht, sondern ein unheimliches, eigentlich glanzloses Leuchten in der Mitte der weiten Tempelhalle. Auf den kalt wirkenden, blauen Fliesen befand sich der eigentliche Mittelpunkt, der Schädel!
Er war gewaltig…
Um ihn rankten sich Sagen und Legenden, denn es war nur wenigen vergönnt, den Schädel zu sehen.
Die einen behaupteten steif und fest, daß Zaduk ein turmhohes Gebilde wäre. Die anderen wiederum sprachen von einem Götzen, der nicht größer als ein Mensch war und wiegelten nur ab.
Keine der Gruppen hatte recht. Man hätte sich etwa in der Mitte einigen können.
Er bestand aus einem mächtigen Umfang. Bleiches Gebein, etwas leuchtend, dazu mit gewaltigen Löchern versehen, die einmal Augen gewesen waren. Auch der Mund bildete nur mehr ein riesiges Loch, aber aus ihm wuchsen noch zwei lange, spitze, degenartige Zähne hervor, die sich sehr deutlich von den anderen abhoben.
Zaduk konnte einmal ein Vampir gewesen sein…
In der großen Tempelhalle selbst war es finster. Woher das Licht kam, wußte selbst der einsame Besucher nicht zu sagen. Jedenfalls stand der Schädel nicht in völliger Finsternis, sein bleiches Gebein leuchtete, als würden sich in seinem Innern kleine Lichtquellen befinden. So weit wie möglich stand das Maul offen, das Kinn schloß dabei mit dem blauen Steinboden ab.
In dieser Halle regierte das Grauen. Unsichtbar lag es zwischen den Wänden. Es war nicht zu erklären, nicht zu fassen, es war einfach vorhanden.
Wie ein kaller Hauch strahlte es ab, hätte Schauder verursacht, aber Asianis empfand keine Furcht. Höchstens ein geringes Zittern und so etwas wie Unterwürfigkeit.
Er wußte genau, wie Zaduk gnädig zu stimmen war. Nicht grundlos hatte er den weiten Weg auf sich genommen.
Als er näher kam und die Konturen des mächtigen Totenkopfs noch deutlicher für ihn erkennbar wurden, entdeckte er auch den rötlichen Schimmer, der sich wie ein dünner Film nicht nur auf der Stirn verteilte, sondern auch die knöchernen Wangen mit einschloß, wo sich regelrechte Mulden gebildet hatten.
Und auch innerhalb des Mauls war der rötliche Schimmer zu erkennen. Asianis behielt die Demutshaltung bei, als er sich dem Totenkopf näherte. Den Jutesack, er war gut verschnürt worden, schleifte er hinter sich her und blieb erst stehen, als ihn und der Schädel etwa zwei Körperlängen trennten. Das war genau die Entfernung, die der benötigte.
Er beugte sich nieder. Dreimal erwies er Zaduk seine Referenz. Dabei glaubte er fest daran, daß der unheimliche Geist des Schädels dies genau bemerkte und ihm wohlgesonnen war. Nach diesem Ritual richtete er sich wieder auf, breitete seine Arme aus und begann zu singen.
Es waren kaum Worte zu verstehen. Nur ein hohler Singsang, mal hoch, mal tief, verteilte sich zwischen die nackten Mauern und Säulen, wurde gebrochen und kehrte als schaurig klingendes Echo wieder an die Ohren des Singenden zurück.
Es gehörte dazu. Die alte Melodie sollte den Schädel auf das einstimmen, was bald folgen würde.
Mit einem letzten, langgezogenen Klagelaut verstummte der Gesang des Priesters. Er selbst beugte wieder seinen Oberkörper vor und sah so aus, als wollte er in die gewaltige Maulöffnung
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