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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Honeys Beine, die er spreizte, wenn er in sie eindrang? Rasch verdrängte sie das ungebetene Bild. Soweit sie wusste, hatte er Honey überhaupt nicht gesehen. Schließlich hatte sein Tag auch nicht mehr als 24 Stunden und jeder Mensch nur ein begrenztes Maß an Energie. Trotzdem, wo ein
    Wille ist, ist auch ein Weg. Lautete so nicht das alte Sprichwort?
    Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, wiederholte Mattie stumm und
    fragte sich, warum die Menschen Klischees verachteten. Klischees hatten etwas ungeheuer Beruhigendes. Sie kündeten von Vorhersagbarkeit,
    Vertrautheit und Dauer. Je unsicherer ihre Gesundheit wurde, desto mehr wusste Mattie diese einfachen Wahrheiten und pauschalen
    Verallgemeinerungen zu schätzen: Liebe bewegt die Welt, Liebe
    überwindet alles, im zweiten Anlauf klappt die Liebe besser.
    Nur, dass es nie einen Ersten gegeben hatte.
    »Wie war’s, wenn wir beim Supermarkt anhalten und ein paar Steaks
    mitnehmen?«, fragte Jake. »Ich brate phantastische Steaks , wenn du dich erinnerst.«
    »Klingt himmlisch.« Mattie bewunderte die Begeisterung in der
    Stimme ihres Mannes. Er hätte auch einen großen Schauspieler
    abgegeben, dachte sie, bevor ihr der Gedanke kam, dass es
    wahrscheinlich gar keinen so großen Unterschied machte , ob man vor Gericht oder auf einer Bühne Gefühle vorspielte. Oder im
    Schlafzimmer. Der Wagen kam abrupt zum Stehen, und als Mattie die
    Augen aufschlug , parkten sie vor einem mittelgroßen Supermarkt an der Norton Avenue. »Ich bin gleich wieder da« , sagte Jake im Aussteigen.
    »Ich komme mit dir.«
    Sofort war er auf ihrer Seite, öffnete ihre Tür, half ihr aus dem Wagen und eskortierte sie in den hell erleuchteten Laden. »Hier entlang« , wies Jake den Weg und führte Mattie durch die Lebensmittelabteilung, vorbei an Gängen mit Dosenfrüchten und Corn-Flakes-Packungen,
    Fruchtsäften und Papierhandtüchern , zu einer überraschend großen Fleischabteilung am Ende des Ladens. Die Art , wie er sich mühelos und zielstrebig durch die Gänge bewegte , verriet Mattie, dass er schon einmal hier gewesen war. Mit Honey?, fragte sie sich und versuchte ihre
    plötzliche Traurigkeit mit einem Lächeln zu kaschieren.
    »Du scheinst dich ja gut auszukennen«, bemerkte sie trotz aller guten Vorsätze, den Mund zu halten.
    »Supermärkte sind im Grunde doch alle gleich , oder?« , bemerkte er leichthin, griff nach mehreren in Plastikfolie verpackten Steaks , musterte sie sorgfältig , legte sie ins Regal zurück und wählte ein paar andere.
    »Wie war’s mit denen?«, fragte Mattie und griff nach einem
    Fleischpaket. »Die sehen ziemlich gut aus.« Sie wollte Jake die Steaks gerade zur Begutachtung anreichen, als ein plötzliches Zittern wie ein kleines Erdbeben ihren Arm erfasste und hoch riss, als wäre er
    schwerelos und nicht mehr mit dem Rest ihres Körpers verbunden. Die
    Steaks flogen aus ihrer Hand durch den Gang und verfehlten nur knapp eine andere Kundin, bevor sie eine Pyramide mit exotischen Käsesorten zum Einsturz brachten.
    »Was zum –?«, rief die Kundin und starrte Mattie wütend an.
    »O Gott«, rief Mattie und vergrub ihre Hände in ihren Achselhöhlen.
    Ihr war plötzlich übel und schwindlig, die aufsteigende Panik trieb ihr kalten Schweiß auf die Stirn. Es passierte schon wieder. Genau wie in der Küche ihrer Mutter. Nur, dass sie nicht mehr in der Küche ihrer Mutter war. Sie befand sich an einem öffentlichen Ort. Wie konnte sie Jake das antun? Sie wagte es nicht, ihn anzusehen , weil sie wusste, dass sie den Ausdruck des Entsetzens und Ekels nicht ertragen würde, den sie dort sicher erblicken würde.
    Und dann segelte ein zweites Steakpaket durch den Gang. Und dann
    noch eins.
    Matties Blick schoss zu ihrem Mann, der sich lausbübisch von einem
    zum anderen Ohr grinsend über die Fleischtruhe beugte und weitere
    Pakete herausnahm.
    »Mein Gott, was machst du denn da?«, fragte Mattie, unsicher, ob sie lachen oder weinen sollte, während er zwei weitere Steaks durch den Gang segeln ließ.
    »Das macht Spaß«, sagte Jake und schleuderte zwei weitere
    Fleischpakete. »Komm, jetzt bist du wieder dran.« Die Kundin rannte in Deckung, als Jake Mattie ein weiteres Steak in die Hand drückte.
    Bevor sie lange überlegen konnte, schleuderte Mattie das verpackte
    Fleisch über ihre Schulter und hörte, wie es krachend in ihrem Rücken landete, dicht gefolgt von Jakes Sperrfeuer aus Lammkoteletts. Als der Supermarktleiter mit einem Mann vom Sicherheitsdienst

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