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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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kurzen Schlag ins Himmelreich hätte schicken können.«
    »Und dein Vater?«
    Jake sah seinen Vater vor sich, in seinem braunen Sessel vor dem
    Kamin im Wohnzimmer, das Gesicht verborgen hinter der
    allgegenwärtigen Zeitung m seinen Händen , deren dünnes Papier schützend und abweisend war wie eine schwere Rüstung. »Er hat nie
    etwas unternommen. Er hat einfach dagesessen und seine verdammte
    Zeitung gelesen. Und wenn es wirklich schlimm wurde, hat er die
    Zeitung beiseite gelegt und das Haus verlassen.«
    »Er hat nie versucht, sie aufzuhalten?«
    »Er hatte Wichtigeres zu tun, als der Vater seiner Kinder zu sein.« Jake hielt inne und sah Mattie direkt in die Augen. »Genau wie ich.«
    »Du bist nicht wie er, Jake.«
    »Nicht? Wo war ich denn, als Kim aufgewachsen ist?«
    »Du warst da.«
    Jake lachte höhnisch. »Ich war morgens aus dem Haus, bevor sie
    aufgestanden ist, und bin in der Regel abends nicht nach Hause
    gekommen, bevor sie schlief. Wann war ich wirklich für sie da?« , – ‘--
    »Du bist jetzt da.«
    »Jetzt ist es zu spät.«
    »Es ist nicht zu spät.«
    »Sie hasst mich.«
    »Sie liebt dich.« Mattie streckte den Arm aus und ergriff Jakes Hand.
    »Du darfst bei ihr nicht aufgeben, Jake. Sie wird dich in der nächsten Zeit sehr dringend brauchen. Sie wird ihren Vater brauchen. Ein
    Mädchen braucht seinen Vater immer«, flüsterte Mattie und dachte an den Nachmittag , an dem sie in Santa Fe angerufen hatte , um ihrem Vater von seinem neuen Enkelkind zu erzählen, und nur erfahren hatte, dass Richard Gill drei Monate zuvor unerwartet an einem Herzinfarkt
    verstorben war. »Du bist ein guter Vater, Jake«, versicherte Mattie ihm.
    »Ich habe euch beide beobachtet. Du bist ein wunderbarer Vater.«
    Jake versuchte zu lächeln. Seine Eippen zuckten, bis sie vor der
    Anstrengung kapitulierten, sich aufeinander pressten und schmal
    wurden, während die Tränen mit Macht in seine Augen drängten. Er
    spürte, wie sein Arm bebte, und war sich nicht mehr sicher, ob es seine oder Matties Hand war, die zitterte. »Ich bin ein Schwindler, Mattie, ich bin mein ganzes Leben lang ein Schwindler gewesen. Meine Mutter
    wusste das. Sie hat das ziemlich von Anfang an erkannt. Sie könnte dir einen Vortrag halten , wenn sie jetzt hier wäre.«
    »Warum sollte ich auf irgendetwas hören , was diese furchtbare Frau zu sagen hat?« , erwiderte Mattie heftig. »Und warum solltest du das tun?«
    »Du kennst nicht die ganze Geschichte.« »Ich weiß , dass du deinen Bruder sehr geliebt hast.« Jake trank sein Glas mit einem weiteren großen Schluck leer. Er verspürte einen sanften Glimmer, ein wohliges Gefühl am Ende der Wirbelsäule, das seinen Hals ein kleines bisschen von
    seinen Schultern absetzte , sodass sein Kopf sich anfühlte, als würde er frei schweben. Er stellte sich vor, dass Luke neben ihm schwebte , ein großer schlaksiger Junge , der sich in seiner Haut nie wirklich wohl gefühlt hatte. Immer sehr still , sehr sensibel. »In vielerlei Hinsicht war es , als ob ich und nicht Luke der Älteste gewesen wäre«, sagte Jake, und seine Gedanken verwandelten sich in Worte, die ihm erstaunlich leicht über die Lippen kamen. »Ich war der Anstifter, der Organisator, der Alleswisser, derjenige, der sich um die Sachen gekümmert hat. Er war der Träumer, der davon sprach , durch Europa zu trampen und sich einer Rock’n’Roll-Band anzuschließen...«
    Mattie nickte aufmunternd und sah durch Jakes nachdenklich
    verschleierte blaue Augen direkt in seine Seele. Er wollte den Blick abwenden , konnte es jedoch nicht. Er wollte nicht , dass jemand in seine Seele blickte. Es war ein dunkler, böser Ort, den er mit niemandem teilte.
    Deshalb war er erstaunt, als er seine Stimme fortfahren hörte, als
    verfügte sie über einen eigenen Willen. »Als ich in Kims Alter war«, hörte er sich in das einlullende Brummen hinein sagen, das sich in seinen Ohren eingenistet hatte, »mieteten meine Eltern für ein paar Wochen eine Hütte am Michigansee. Es war ein ziemlich einsamer Ort mit nur wenigen anderen Hütten in der Umgebung. Luke war gerade achtzehn
    geworden. Nicholas war vierzehn. Nick war schon damals ein ziemlicher Einzelgänger, der gleich morgens früh verschwand und, bis es dunkel
    wurde, nicht wieder gesehen wurde. Deshalb haben Luke und ich mehr
    oder weniger den ganzen Tag zusammengehangen.
    Anfangs war es okay. Solange das Wetter gut war, gingen wir
    schwimmen , unternahmen Kanufahrten oder warfen einen

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