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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Katastrophe? Wie das?«
    Jake wedelte eine Hand vor dem Gesicht , als wollte er eine allzu unangenehme Erinnerung verscheuchen. »Miss Istbister –«
    »Wer?«
    »W a rbister.«
    »Was?«
    Sie brachen unvermittelt erneut in Gelächter aus , obwohl Jake an Matties verwirrtem Gesichtsausdruck erkannte, dass sie nicht genau wusste, warum eigentlich. »Die fragliche Autorin«, erklärte Jake und dachte glucksend daran, wie die überraschte Reporterin mit ihrem
    Kassetten-Rekorder gekämpft hatte, als er sie aus seinem Büro geworfen hatte, »war an einem persönlicheren Ansatz interessiert, als ich zu liefern gewillt war.«
    Mattie legte den Kopf zur Seite. »Wie persönlich?«
    »Sie hat nach meinen Eltern und meinen Brüdern gefragt«, sagte Jake, und das Bild der Journalistin wurde von den traurigen Gesichtern seiner Brüder Luke und Nicholas überlagert. Er versuchte vergeblich, sie wegzublinzeln. Der Kellner kam mit Jakes Wein. »Das geht auf Kosten
    des Hauses«, sagte er, als Jake nach dem Glas griff, »mit unserer aufrichtigen Entschuldigung für die Verzögerung. Wir hatten in der
    Küche ein paar Probleme, doch jetzt ist alles geklärt , und Ihr Essen sollte jeden Augenblick kommen.«
    »Kein Problem« , sagte Jake , hob das Glas zu einem Salut und sah in der dunkelroten Flüssigkeit das Spiegelbild seines Bruders.
    »Pas de probleme«, wiederholte Mattie leise auf Französisch. »Merci.«
    »Das ist nicht fair. Du hast geübt.«
    »Bei jeder Gelegenheit. Ich kann immer noch nicht glauben , dass wir wirklich fliegen.«
    »Glauben Sie es ruhig , meine Dame. Alles bestätigt und im Voraus bezahlt. Noch fünf Wochen, und wir sind auf dem Weg nach Paris, in
    die Hauptstadt Frankreichs.«
    »Du klingst ja richtig aufgeregt.«
    »Ich bin aufgeregt« , sagte Jake und merkte, dass es stimmte. Er hatte so lange so getan, als würde er sich auf diese Reise freuen, dass seine Freude echt geworden war. Und diese unerwartete Entwicklung
    überraschte niemanden mehr als ihn selbst. »Mein Bruder Luke hat
    immer davon gesprochen, Europa zu bereisen« , hörte er sich sagen.
    Warum hatte er das jetzt erwähnt?
    »Irgendein bestimmtes Ziel?«, fragte Mattie.
    »Nicht, dass ich mich erinnern könnte. Er sprach davon, von einem
    Ende des Kontinents zum anderen zu trampen.« Was war mit ihm los?
    Hatte er nicht gerade erfolgreich von seiner Vergangenheit abgelenkt?
    Warum kreisten seine Gedanken jetzt dorthin zurück? Die Ereignisse des Nachmittags hatten ihn offensichtlich verwirrt , und der Zwischenfall in dem Supermarkt in Verbindung mit mehreren Gläsern teurem Rotwein
    hatte sein übliches Gleichgewicht offenbar gestört und seine Zunge
    gelöst. Jake führte das Glas an die Eippen und trank einen großen
    Schluck. Er konnte sie genauso gut noch ein wenig mehr lösen , dachte er , als Luke ihm vom Boden des Glases zuzwinkerte.
    »Rede mit mir , Jake« , machte Mattie ihm leise Mut. »Erzähl mir von Luke.«
    Sofort spürte Jake ein Zerren an seinem Herzen , als ob es von einem Angelhaken aufgespießt worden wäre und jeden Moment hilflos
    zappelnd aus seiner Brust gerissen zu werden drohte. Er blickte zu der Ecke des Restaurants, wo die Kollegen Tweedle Dumm und Dümmer
    mit ihren Gemahlinnen saßen und entspannt lachten. Eine der
    Ehefrauen ertappte ihn und stieß ihren Mann an, der sich umdrehte, Jake erkannte und rasch seinen Partner anstieß. Bald winkten ihm alle vier Tweedles lächelnd quer durch den Raum zu. Pflichtschuldig erwiderte Jake ihr Lächeln und parodierte ihre übertrieben fröhlichen Gesten.
    »Meine früheste Erinnerung ist, wie mein Bruder Luke schreit«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen und konzentrierte sich wieder ganz
    auf Mattie. Schließlich hatte er diesen verdammten Weg selbst
    eingeschlagen. Nun konnte er ihn auch zu Ende gehen.
    »Warum hat er geschrien?«
    »Meine Mutter hat ihn geschlagen«, erwiderte Jake achselzuckend.
    Nichts Außergewöhnliches, sollte diese Geste sagen.
    Mattie verzog mitleidig das Gesicht. »Wie alt war er?«
    »Vier...fünf...sechs...sieben...siebzehn«, leierte Jake herunter. »Die vielen Schreie haben sich mit der Zeit zu einem einzigen Schreien
    vermischt. Sie hat ihn an jedem Tag seines Lebens geschlagen.«
    »Das ist ja furchtbar.« In Matties Augen standen Tränen. »Und er hat nie zurückgeschlagen?«
    »Er hat nie zurückgeschlagen«, wiederholte Jake. »Nicht einmal, als er größer war als sie. Nicht einmal, als er die böse Hexe mit einem einzigen

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