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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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»Ich frage mich, wie Kim mit George zurechtkommt.«
    »Hör mir zu, Mom«, sagte Mattie. »Es wird eine Zeit kommen, wenn
    ich dich mit diesen Augen ansehe.«
    »Wir sollten zurück nach vorne zu den anderen gehen. Es ist nicht
    richtig –«
    »Ich werde praktisch gelähmt sein«, drängte Mattie weiter und
    hinderte ihre Mutter am Aufstehen, »ich werde mich nicht bewegen
    könne, meine Beine nicht und auch meine Hände nicht. Ich werde nicht in der Lage sein, etwas zu unternehmen, um meinem Leiden ein Ende zu setzen. Ich werde hilflos sein. Ich werde die Sache nicht selbst in die Hand nehmen können.« Mattie hätte beinahe über ihre eigenen Worte
    gelacht. »Die Krankheit funktioniert so«, zügelte sie sich, »dass die Muskeln in meiner Brust schwächer und schwächer werden, sodass mein
    Atem flacher und flacher wird und ich unter permanenter Kurzatmigkeit leide.«
    »Ich will das nicht hören.«
    »Du musst das aber hören. Bitte, Mama. Lisa hat mir Morphium
    verschrieben für die Zeit, wenn es anfängt.«
    »Morphium?« Das Wort kam ihrer Mutter nur zitternd über die
    Lippen und stand zwischen ihnen im Raum.
    »Morphium lindert offenbar den Stress der Kurzatmigkeit. Es wirkt
    auf das Atmungssystem ein, und die Atmung wird verlangsamt. Lisa sagt, Morphium wäre erstaunlich wirkungsvoll . wenn es darum geht, Angst zu lindern, Panik unter Kontrolle zu bekommen und die innere Ruhe
    wiederherzustellen. Doch irgendwann wird ein Zeitpunkt kommen , wo das Morphium auf meinem Nachttisch liegt , ich es aber nicht mehr erreichen kann. Ich werde nicht in der Lage sein , das Medikament so zu dosieren, dass es meinem Leiden ein Ende bereitet. Ich werde nicht
    mehr in der Lage sein zu tun, was getan werden muss. Verstehst du,
    Mama? Verstehst du, was ich dir sagen will?«
    »Ich möchte nicht mehr darüber reden.«
    »Zwanzig Pillen, Mama. Mehr braucht es nicht. Du musst sie
    zerstampfen , in Wasser auflösen und mir einflößen. Ein paar Minuten später schlafe ich sanft ein. Zehn oder fünfzehn Minuten später falle ich ins Koma und wache nicht wieder auf. Nach ein paar Stunden bin ich
    tot. Sanft. Schmerzlos. Mein Leiden ist zu Ende.
    »Bitte nicht mich , das zu tun.« .
    »Wen kann ich sonst fragen?«
    »Frag Lisa. Oder Jake.«
    »Ich kann Jake nicht bitten, gegen das Gesetz zu verstoßen. Das
    Gesetz ist sein ganzes Leben. Und ich kann Lisa nicht bitten , ihre ganze Karriere aufs Spiel zu setzen. Und Kim kann ich ganz bestimmt nicht fragen.«
    »Aber deine Mutter.«
    »Das fällt mir nicht leicht , Mama. Wann habe ich dich zum letzten Mal um irgendwas gebeten?«
    »Ich weiß , dass du denkst, dass ich eine schlechte Mutter war. Ich weiß, dass du denkst –«
    »Das spielt jetzt alles keine Rolle mehr. Mutter. Bitte, du bist die Einzige, die ich fragen kann. Ich habe wochenlang darüber nachgedacht.
    Und ich frage dich jetzt, weil ich dich, wenn es soweit ist, möglicherweise nicht mehr fragen kann. Ich kann dich nur noch mit diesen Augen
    ansehen.«
    »Das ist nicht fair. Das ist nicht fair.«
    »Nein, das ist es nicht. Nichts von all dem ist fair«, stimmte Mattie ihr zu, mit den Händen immer noch die Lehnen des Sessels ihrer Mutter
    gepackt, um ihr den Fluchtweg zu versperren , obwohl ihre Mutter mittlerweile reglos dasaß. »Aber so ist es nun mal. Und du musst mir versprechen , dass du das für mich tun wirst , Mama« , erklärte Mattie ihr.
    »Du wirst wissen, wann es Zeit für mich ist zu gehen. Du wirst wissen, wann es grausam wäre, mich weiter am Leben zu halten, und du wirst
    mir helfen.«
    »Das kann ich nicht.«
    »Bitte«, beharrte Mattie mit lauter werdender Stimme, »wenn du mich
    jemals geliebt hast, dann musst du mir versprechen, mir zu helfen.«
    Mattie sah ihrer Mutter direkt in die Augen, sodass diese den Blick weder abwenden noch die Augen verschließen konnte vor der Wahl, vor die sie gestellt war. Die Hunde um sie herum hechelten im Chor, als würden
    auch sie auf ihre Entscheidung warten.
    »Ich weiß nicht, ob ich das kann.«
    »Du musst.«
    Mattie sah, wie ihre Mutter in stummer Zustimmung die Schultern
    sacken ließ und ihren Blick niederschlug.
    »Versprich es«, drängte Mattie. »Du musst es mir versprechen.«
    Ihre Mutter nickte. »Ich verspreche es«, sagte sie schließlich.
    »Und du darfst kein Wort von all dem zu Jake sagen. Du darfst nichts
    –«
    »Was ist hier los?«, fragte Kim von der Tür.
    Mattie fuhr so hastig herum, dass sie um ein Haar das Gleichgewicht
    verloren

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