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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Rezeption. Die Frau, deren
    Namensschild sie als Chloe Dorleac identifizierte, hatte dunkelviolette Augen, dichtes schwarzes Haar und eine makellose Haltung. Sie sah
    Mattie an, wie man ein Kind ansieht, das sich anschickt, unartig zu sein, argwöhnisch und skeptisch, als hätte sie Angst, Mattie könnte anfangen, in der Lobby Flickflacks zu schlagen. Diesbezüglich besteht keine
    Gefahr, dachte Mattie und stützte sich auf ihren Stock. »Bonjour,
    Madame, Monsieur. Kann ich Ihnen helfen?«
    »Woher wussten Sie, dass wir Englisch sprechen?«, fragte Mattie.
    Chloe Dorleac lächelte nachsichtig, sagte jedoch nichts. Mattie
    bemerkte , dass ihr Mund ein schmaler roter Strich war , der sich ihrem sich verändernden Gesichtsausdruck nur minimal anpasste.
    »Wir haben reserviert«, sagte Jake, kramte die entsprechende
    Bestätigung aus der Tasche und legte sie auf den Tresen. »Hart, Jake und Mattie.« Er gab der Frau ihre Pässe.
    »Hart«, wiederholte Chloe Dorleac, während sie ihre Pässe noch
    sorgfältiger musterte als der Zollbeamte am Flughafen und die
    Passnummern in ihr Register eintrug. »Jason und Martha.«
    Kenne ich die?, fragte Mattie sich, während ihr Blick auf der Suche nach einer Sitzgelegenheit durch den Raum schweifte und in den großen goldfleckigen Spiegeln an den Wänden wiederholt auf ihr eigenes Abbild stieß. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie erschöpft sie aussah. »Wir sind aus Chicago.«
    »Ich glaube, wir haben noch einen Gast aus Chicago«, sagte die Frau.
    »Chicago ist eine große Stadt.«
    »In Amerika ist alles groß, n’est-ce pas?« Chloe Dorleac bedachte sie mit einem weiteren nachsichtigen französischen Lächeln, obwohl die
    Unterhaltung sie sichtlich langweilte, und schob ihnen ein grünes
    Formular über den Tresen. »Würden Sie das bitte ausfüllen?«
    Mattie machte einige gemessene Schritte auf das zweisitzige grüne
    Samtsofa zu, das in einer Nische vor einem Fenster mit Blick auf die Rue Jacob stand. Ich bin in Paris, dachte sie, als sie in die weichen Polster des kleinen Sofas sank. »Ich bin wirklich hier«, flüsterte sie leise und blickte über die Schulter auf die enge geschäftige Straße, die all ihre Fantasien noch übertraf. »Ich habe es geschafft. Wir haben es geschafft.«
    Würde sie sich ohne Stock auf dieser Straße mit ihrer
    ununterbrochenen Parade von Fußgängern, Autos und Motorrädern
    bewegen können? Wahrscheinlich nicht. Aber der Stock war immer noch
    besser als der Rollstuhl. Sie hatte an beiden Flughäfen einen Rollstuhl benutzt und festgestellt , dass sie es hasste. Rollstühle schufen Grenzen, egal wie hilfreich sie angeblich waren. Der ganze Blick der Welt
    veränderte sich. Ständig sah man zu den Menschen auf und sie immer
    auf einen herunter. Wenn sie einen überhaupt zur Kenntnis nahmen.
    Selbst der Zollbeamte am Flughafen Charles de Gaulle hatte sie
    praktisch ignoriert und alle Fragen an Jake gerichtet, auch die, die Mattie betrafen, als wäre sie ein Kind, das zu einer intelligenten Antwort nicht in der Lage war, als hätte sie keine eigene Stimme.
    Dabei würde sie ihre Stimme noch früh genug verlieren. Sie hatte
    bestimmt nicht die Absicht, sie schon vorzeitig aufzugeben.
    Mattie spürte eine Bewegung, blickte auf und sah den besorgten
    Ausdruck in Jakes müdem Gesicht, als er vor ihr stand. »Irgendwas nicht in Ordnung?«
    »Sieht so aus, als würde unser Zimmer frühestens in einer Stunde
    fertig.«
    »Oh.« Mattie gab sich Mühe, nicht allzu enttäuscht zu klingen. Sie
    versuchte zu lächeln, ohne den Mund zu bewegen, wie Chloe Dorleac,
    doch das Ergebnis wirkte eher angestrengt als nachsichtig. Denn in
    Wahrheit musste Mattie sich ungeachtet ihrer Begeisterung und ihrem sehnlichen Wunsch, jeden Zentimeter der Stadt zu besichtigen, dringend hinlegen, zumindest für ein paar Stunden. Ihre Beine fühlten sich an, als wäre sie über den Atlantik geschwommen, ihre Arme, als wäre sie selbst geflogen. Sie hatte die ganze Nacht kaum ein Auge zugetan, weil sie trotz ihrer Plätze in der ersten Klasse keine bequeme Position gefunden hatte.
    Hin und wieder war sie ein paar Minuten eingedöst, um wenig später
    wieder hochzufahren. Sie musste ihre Batterien aufladen, dafür brauchte sie ein paar Stunden Schlaf. »Wir könnten irgendwo einen Kaffee trinken gehen.« »Ich denke, wir sollten hier bleiben«, sagte Jake. »Angeblich verfügt das Hotel über einen malerischen Innenhof mit bequemen
    Liegestühlen, auf denen wir, in eine Decke

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