Zähl nicht die Stunden
eingewickelt, ein bisschen schlafen können, bis das Zimmer fertig ist.«
»Klingt gut.«
Jake half Mattie auf die Beine und führte sie durch die Lobby zu
einem winzigen Hof, einer briefmarkengroßen Umfriedung mit
mehreren unbequem aussehenden Holzstühlen und einer verwitterten
Chaiselongue. »Na ja, das Ritz ist es nicht gerade« , meinte Jake.
Nein , ganz bestimmt nicht, dachte Mattie , sagte jedoch nichts. Das Ritz-Carlton schien eine Ewigkeit entfernt. Für sie beide. »Es ist
charmant. Sehr französisch. C’est très bon« , sagte sie, als Jake ihr auf den wackeligen Liegestuhl half. »Sehr bequem.« Zu ihrer beider
Überraschung stellte sie fest, dass das sogar stimmte. »Aber was ist mit dir?«
Jake setzte sich auf die Kante eines der Holzstühle. »Perfekt«,
versicherte er ihr, obwohl sein gequälter Gesichtsausdruck ihn Lügen strafte.
Sie lächelte und spürte , wie der Schlaf ihre Lider schon schwer machte. Jake ist genauso erschöpft wie ich , dachte sie. Die letzten Wochen konnten trotz seiner gegenteiligen Beteuerungen nicht leicht für ihn gewesen sein. Unbezahlten Urlaub zu nehmen, seine Karriere zu
gefährden , sein Leben auf Eis zu legen , wie viele Männer würden das tun? Vor allem für eine Frau , die sie nicht liebten. Jake sprach schon davon , wohin ihre nächste Reise gehen sollte. Hawaii, hatte er vorgeschlagen. Oder vielleicht eine Mittelmeer-Kreuzfahrt. Sie konnte sich über die Maßen glücklich schätzen , dachte Mattie , ließ ihre Augen zufallen und musste über die Ironie ihrer Gedanken lächeln. Sie starb , und ihr Mann liebte sie nicht, und doch hatte sie mehr Glück als jede andere Frau, die sie kannte. Als Mattie aus dem Schlaf hochschreckte, wäre sie fast von dem Liegestuhl gefallen. Sie brauchte einen Moment, um sich zu erinnern, wo sie war, wirklich in Paris, in einem reizenden kleinen französischen Hotel, wo sie darauf wartete , dass ihr Zimmer fertig gemacht wurde. Wie lange hatte sie geschlafen? Sie sah sich in dem kleinen Hof um , das schräg einfallende Sonnenlicht verschleierte ihren Blick wie ein träge wehender Chiffon-Schal. Mattie blinzelte in Jakes Richtung , doch auf seinem Stuhl saß jetzt eine Frau mit einem weichen beigen Hut. Mattie lächelte , doch die Frau war in einen Reiseführer vertieft und bemerkte sie nicht. Mattie hörte Stimmen und sah an einer Mauer einen Mann und eine Frau lehnen, die sich munter auf
Französisch unterhielten. Sie versuchte ein vertrautes Wort oder eine Redewendung aufzuschnappen, aber das Paar sprach viel zu schnell,
sodass Mattie rasch aufgab. Wo war Jake? »Excusez-moi«, sagte Mattie zu niemand Bestimmten. »Mon mari –« Nein, das war hoffnungslos.
»Qui a vu –« Was genau wollte sie eigentlich sagen? »Verdammt! So wird das nichts.«
Die Frau mit dem weichen beigefarbenen Hut blickte von ihrem Buch
auf. »Das ist schon okay. Sie können ruhig Englisch reden«, sagte sie lachend mit einer Stimme, die Mattie eigenartig bekannt vorkam,
vielleicht weil sie so beruhigend amerikanisch klang.
»Ich habe mich gefragt, ob irgendwer meinen Mann gesehen hat. Er
scheint verschwunden zu sein.«
»Ja, das tun sie gern. Aber nein, tut mir Leid, ich kann Ihnen leider nicht weiter helfen. Als ich gekommen bin, waren Sie allein. Vor etwa fünf Minuten«, fügte sie hinzu, bevor sie sich wieder dem Buch in ihrem Schoß zuwandte.
Mattie versuchte, sich ein wenig aufzurichten, doch ihre Hände
verweigerten den Dienst, sodass sie sich wieder zurücksinken lassen und so tun musste , als läge sie bequem. Ein vernehmlicher Seufzer drang über ihre Lippen.
»Alles in Ordnung?« , fragte die Amerikanerin. »Alles okay. Nur ein wenig müde.« Mattie strengte sich an, die Gesichtszüge der Frau zu
erkennen, was sich jedoch bei der blendenden Sonne und dem
breitkrempigen Hut der Frau ziemlich schwierig darstellte.
»Gerade angekommen?«
Mattie blickte auf ihre Uhr. »Vor etwa einer Stunde. Und Sie?«
»Ich bin schon seit ein paar Tagen hier.«
»Können Sie irgendwas besonders empfehlen?«
»Ich bin in der Hauptsache durch die Straßen gelaufen, um mich
wieder mit der Stadt vertraut zu machen.« Sie wies auf den Reiseführer in ihrem Schoß. »Ich war seit dem College nicht mehr hier.«
»Dies ist mein erstes Mal in Paris.«
»Nun, das erste Mal ist immer etwas Besonderes.«
Mattie lächelte zustimmend. »Es ist sogar noch schöner , als ich es mir vorgestellt habe.«
»Wir haben großes Glück mit dem Wetter.
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