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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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sodass der Fahrstuhl einen unerwünschten zusätzlichen Stopp einlegte, bevor er schließlich in der Lobby hielt. Mattie blieb reglos stehen, blickte durch das Gitter wie durch das Fenster einer Gefängniszelle und war sich nicht sicher, ob sie die Kraft hatte weiterzugehen.
    »Wollen Sie nicht aussteigen?«, hörte sie eine Kinderstimme fragen.
    Mattie nickte dem strubbeligen kleinen Jungen zu, der vor dem Gitter stand, dasselbe nicht zu bändigende Kind, das sie schon im
    Frühstücksraum getroffen hatte. War das wirklich erst ein paar Stunden her?, fragte sie sich und trat aus dem Fahrstuhl. Es kam ihr so viel länger vor. Ein Leben lang, dachte sie.
    »Mach der Dame Platz«, wies die Mutter des Kleinen ihren Sohn an.
    »Die geht aber komisch«, hörte Mattie den Jungen quieken, als sie, so schnell sie irgend konnte, auf die Doppeltür des Hotels zustrebte.
    »Psst«, sagte seine Mutter. »Warum weint die Frau?« , fragte der Junge , als die Hoteltür hinter ihr zufiel.
    Als Mattie hektisch auf die Straße trat, durchweichte der Regen sofort ihre Kleider und klebte ihr Haarsträhnen ins Gesicht. Sekunden später hielt ein Taxi, und sie stieg ein. »Zum Flughafen Charles de Gaulle«, sagte sie und rieb sich die Mischung aus Regentropfen und Tränen in den Bluterguss auf ihrer Wange. »Vite«, sagte sie und, als ihr ihr Traum wieder einfiel, noch einmal: »Vite.«
    31

    »Willst du mir erzählen, was zum Teufel hier eigentlich los ist?«, fragte Jake wütend und schob Honey, die Hand an ihrem Ellbogen, in
    Richtung Treppenhaus.
    »Beruhige dich, Jason. Es ist nicht so, wie du denkst.«
    »Ach wirklich? Und was genau denke ich?«
    »Ich wollte nie, dass das passiert.«
    Sie hatten den Absatz der Wendeltreppe erreicht. Jake zögerte,
    unsicher , wohin er gehen sollte, während seine Finger sich weiter m Honeys Armbeuge gruben. Er wusste, dass er ihr wehtat, doch das war
    ihm egal. In Wahrheit wollte er sie umbringen. Es bedurfte all seiner Willenskraft, sie nicht drei Stockwerke tief in die Lobby zu werfen. Was zum Teufel tat sie in Paris? In diesem Hotel? Und was hatte sie mit
    Mattie gemacht? Was hatte sie ihr gesagt?
    Als würde sie seine Gedanken lesen, sagte Honey: »Mein Zimmer ist
    im vierten Stock. Komm mit nach oben, Jason. Wir können reden. Ich
    werde alles erklären. Ohne sich Zeit zum Nachdenken zu lassen, stieß Jake Honey die zwei Treppenabsätze bis zum vierten Stock vor sich her.
    Was hatte sie in seinem Hotelzimmer gemacht? Was hatte sie zu Mattie gesagt, was die Attacke provoziert hatte? Wenn Honey irgendetwas
    gesagt hatte, was Mattie aufgeregt hatte, würde er sie an Ort und Stelle erwürgen.
    Mattie hatte allerdings überhaupt nicht erregt gewirkt, erinnerte er sich. Wenn überhaupt, schien sie eher dankbar über Honeys
    Anwesenheit, enttäuscht über ihren eiligen Abschied und erstaunt über seine Unhöflichkeit gewesen zu sein. Wie sollte er Mattie dieses seltsame Benehmen erklären? »Der Schlüssel ist in meiner Tasche«, sagte Honey.
    »Da komme ich nicht dran, wenn du meinen Arm nicht loslässt.«
    Jake löste seinen Griff und sah zu, wie Honey das Zimmer aufschloss, bevor er sich verstohlen umsah und sie in ihr Zimmer schubste, das
    praktisch genauso aussah wie seines. »Was zum Teufel geht hier vor?«, wollte er noch einmal wissen und knallte die Tür zu.
    Honey warf ihre Jacke auf das ungemachte Bett über die zerwühlten
    Blusen , und ihr vertrauter Duft stieg Jake in die Nase und erinnerte ihn an die gemeinsamen Monate, die Tage und Nächte , die er in dem kuriosen Durcheinander ihres Schlafzimmers verbracht hatte. Einen
    Moment lang spürte er , wie sein Zorn abebbte und seine Spannung sich zu lösen begann , doch dann sah er Mattie zwei Stockwerke tiefer auf dem gleichen Bett vor sich sitzen , einen Bluterguss auf der Wange , verwundbar , und seine Wut flammte wieder auf. Er ballte die Fäuste , wandte den Blick vom Bett und bemerkte die Päckchen , die auf jeder verfügbaren Oberfläche standen – auf dem Stuhl, den Nachttischen , sogar auf dem Koffer, der neben dem Fenster auf dem Boden lag.
    »Ich habe angefangen französische Puppen zu sammeln«, erklärte
    Honey ihm, als sie seinem Blick folgte. »Ich weiß noch nicht genau, wie ich sie alle mit ins Flugzeug –«
    »Deine verdammten Puppen interessieren mich nicht«, herrschte Jake
    sie an. »Ich möchte wissen, was du hier machst.«
    »Ich wollte schon immer mal nach Paris«, erwiderte Honey und
    straffte die Schultern in

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