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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Ordnung?«
    »Es geht ihr gut«, sagte Kim und hakte ihre Mutter unter.
    »Und wie geht es dir, Liebes?«, fragte Jake seine Tochter und machte eine Bewegung, als wollte er ihr übers Haar streichen.
    »Gut, danke«, antwortete Kim förmlich. Sie lehnte sich zurück , sodass seine Hand sie nicht erreichen konnte, und genoss den verletzten Blick in seinen Augen. »Könntest du jetzt das Auto holen? Mama muss ins
    Bett.«
    »In bin sofort wieder da.«
    Minuten später fuhr Jake das weiße Oldsmobile vor und sprang
    heraus, um Mattie beim Einsteigen zu helfen.
    Kim tat so, als hätte sie Mühe, hinten bequem zu sitzen.
    Demonstrativ warf sie sich auf dem Sitz hin und her und stieß
    rücksichtslos mit den klobigen Absätzen ihrer schwarzen Lederstiefel gegen den Rücken des Sitzes ihres Vaters, während sie mehrmals die
    Beine bald so, bald so übereinander schlug. Wer entwarf diese Autos überhaupt? Glaubten die, alle, die in einem Auto hinten saßen, wären unter zehn? Wussten die nicht, dass Erwachsene mehr Beinfreiheit
    brauchten? Dass sie vielleicht nicht unbedingt mit dem Kinn auf die Knie schlagen wollten? Sie hatte in letzter Zeit häufig den Rücksitz genossen, fiel ihr ein, als sie an den vergangenen Samstagabend
    zurückdachte und wieder Teddys flehentliche Stimme an ihrem Ohr
    hörte. Komm doch, Kim. Du willst es doch au c h .
    »Alles okay da hinten, Liebes?« Die Stimme ihres Vaters verscheuchte Teddy.
    Für wen zum Teufel hältst du dich eigentlich?, fragte Kim stumm und
    bohrte mit wütendem Blick tiefe Löcher in den Hinterkopf ihres Vaters.
    Bildest du dir vielleicht ein, du wärst der edle Ritter, der auf seinem weißen Ross herbeistürmt, um die Situation zu retten? Falls du dich so sehen solltest, habe ich Neuigkeiten für dich, Jake Hart, Staranwalt und Mistkerl. Das hier ist kein weißes Ross. Das ist ein weißer Oldsmobile.
    Und wir brauchen deine Hilfe nicht. Wir brauchen dich überhaupt nicht.
    Wir kommen sehr gut ohne dich zurecht. Wir haben nicht mal gemerkt,
    dass du weg bist.
    »Es tut mir Leid, dass ich dich bei der Arbeit stören musste«, hörte sie ihre Mutter sagen, deren Stimme jetzt kräftiger war als zuvor, wenn ihr auch die gewohnte Resonanz fehlte. Wieso war sie nicht wütend? Wieso war sie so ätzend höflich?
    »Du hättest mich gleich anrufen sollen« , sagte Jake. »Es war doch nicht nötig, dass du selbst fährst.«
    »Mama ist kein Krüppel« , warf Kim ein.
    »Nein , aber sie hatte einen schweren Autounfall, und das ist noch keine zehn Tage her. Sie ist noch nicht wieder ganz auf dem Damm.«
    »Du hörst dich an wie Lisa.«
    »Das ist nichts als Vernunft.«
    »Es geht mir gut«, sagte Mattie.
    »Es geht ihr gut«, plapperte Kim nach wie ein Papagei. Was fiel ihm
    ein, an ihrer Mutter herumzukritteln! Was Mattie tat, was beide taten, ging ihn nichts mehr an. Er hatte überhaupt kein Recht, irgendetwas zu kritisieren oder zu verurteilen. Dieses Recht hatte er an dem Tag
    verwirkt , an dem er gegangen war. Kim beugte sich vor und legte ihrer Mutter die Hand auf die Schultern. Sie hätte ihn nicht anrufen sollen. Sie hätte ihre Großmutter anrufen sollen oder Lisa oder eine der vielen
    Freundinnen ihrer Mutter. Jeden außer Jake. Sie brauchten Jake nicht.
    Ihr Vater hatte in ihrem täglichen Leben nie eine große Rolle gespielt.
    So weit Kim zurückdenken konnte , war er immer nur der Mann gewesen , der ihr jeden Morgen zuwinkte , bevor er zur Arbeit fuhr , und ihr abends einen Gute-Nacht-Kuss gab , wenn er zeitig genug nach Hause kam, um sie noch wach anzutreffen.
    Ihre Mutter war diejenige, die sie zur Schule brachte , mit ihr zum Arzt und zum Zahnarzt ging , sie zu ihren Klavier- und Ballettstunden fuhr, bei jedem Elternsprechabend, jeder Schüleraufführung, jedem
    außerschulischen Sportereignis zur Stelle war und bei ihr am Bett saß, wenn sie krank war. Ihr Vater war nicht etwa gleichgültig – er hatte nur so viel anderes zu tun. So viel anderes, das er lieber tat.
    Später , als Kim ins Teenageralter kam , sah sie, nun selbst von Terminen gejagt , ihn noch seltener , und seit dem Umzug der Familie nach Evanston hatte sie ihn fast gar nicht mehr zu Gesicht bekommen.
    Jake Hart war nicht mehr greifbar, nur sein Geist spukte noch in den Räumen, die er nicht mehr bewohnte, und anwesend war er nur noch in
    seiner Abwesenheit.
    Anfangs hatte Kim Angst gehabt , ihre Mutter könnte unter dem Schlag , den ihr Vater ihr versetzt hatte , zusammenbrechen. Aber sie war trotz der

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