Zähl nicht die Stunden
da vor?«
Mattie sah ihm forschend in die Augen. Machte er sich über sie lustig?
Sie fand keine Anzeichen dafür. »Ich habe heute Nachmittag eigentlich nichts weiter vor« , sagte sie.
»Na , dann schlag ich vor , wir schreiten gleich zur Tat.« Er warf seine Serviette auf den Tisch und winkte dem Kellner, um sich die Rechnung bringen zu lassen. »Wohin soll’s gehen?«
Mattie war etwas erschrocken über das Tempo, mit dem die Dinge
sich entwickelten. Aber das wolltest du doch, hielt sie sich vor und dachte an die neue Satinunterwäsche , die sie sich auf dem Weg aus dem Einkaufszentrum hinaus noch gekauft hatte.
»Am besten gehen wir zu mir«, meinte sie. Sie wusste , dass Kim nach der Schule zu einem Football-Spiel wollte und erst zum Abendessen nach Hause kommen würde.
»Keine gute Idee« , widersprach Crawford. »Gehörnte Ehemänner haben eine besondere Gabe dafür , genau dann aufzukreuzen, wenn man sie am wenigsten erwartet.«
»Da besteht keine Gefahr«, erklärte Mattie.
»Er ist verreist?«
»Für immer, ja«, sagte Mattie. »Er ist vor zwei Wochen ausgezogen.«
»Sie leben getrennt?« Crawford wirkte beinahe erschrocken.
»Ist das ein Problem?«
»Es ist eine Komplikation.« Crawford lächelte etwas mühsam.
»Eine Komplikation? Ich hätte gedacht , es sei das Gegenteil.«
»Tja, wie soll ich es sagen?« Crawford schüttelte den massigen Kopf.
»Ich bin mit sechzehn von der Schule abgegangen und habe nie einen
Abschluss gemacht. Aber ich hatte Erfolg im Leben – und warum? Aus
zwei Gründen: Erstens, ich nutze die Gelegenheiten , und zweitens , ich halte alles so einfach wie möglich. Also , wenn Sie noch mit Ihrem Mann zusammen lebten, dann wäre eine Affäre mit Ihnen eine dieser
großartigen Gelegenheiten, die man nutzen muss, eine einfache
Geschichte , bei der sich zwei Erwachsene zusammentun , um ein bisschen Spaß zu haben. Mehr würden Sie von mir nicht erwarten. Ein
nettes Abenteuer ohne Verpflichtung.« Er hielt inne und winkte den
Kellner weg , der mit der Rechnung an den Tisch getreten war. »Die Tatsache, dass Sie sich von Ihrem Mann getrennt haben, macht alles
wesentlich komplizierter. Es bedeutet nämlich, dass Ihre Erwartungen ganz andere sind.«
»Ich erwarte gar nichts von Ihnen«, widersprach Mattie.
»Jetzt vielleicht nicht. Aber das wird sich ändern. Glauben Sie mir , ich spreche aus Erfahrung.« Er hielt inne , sah sich um und neigte sich über den Tisch , als wollte er sie in ein dunkles Geheimnis einweihen. »Das Mindeste, was Sie erwarten werden , ist eine Beziehung. Sie verdienen eine Beziehung. Aber i c h will keine Beziehung mehr. Ich möchte nicht an Ihren Geburtstag denken oder mit Ihnen ein neues Auto aussuchen
müssen.«
Mattie schnappte hörbar nach Luft.
»Ich habe Sie beleidigt. Verzeihen Sie , das wollte ich nicht.«
»Nein« , entgegnete Mattie, immer noch verblüfft über die
unverblümte Zurückweisung und die Richtigkeit seiner Vorhersage. »Sie haben mich nicht beleidigt. Sie haben vollkommen Recht.«
»Was?« Crawford lachte. »Ich glaube, Sie sind die erste Frau, die das zu mir gesagt hat.«
»Überraschung!«, sagte Mattie. Eine Frau mit kurzem welligem Haar
ging an ihrem Tisch vorüber, und einen Moment lang glaubte sie, Lisa sei ihr hierher gefolgt und würde gleich allen, die es hören wollten, lauthals ihre Diagnose verkünden. »Es würde wohl nichts ändern, wenn ich
Ihnen sagte, dass ich wahrscheinlich nicht mehr sehr lange hier sein werde.«
»Sie ziehen um?«
Mattie lächelte bitter. »Ich spiele mit dem Gedanken, ja.«
»Dann ziehen Sie aber nicht zu weit fort.« Wieder winkte Crawford
dem Kellner. »Meine Wände wären ohne Sie verloren.«
Leb aus dem Vollen, stirb jung, dachte Mattie, während Roy Crawford
dem Kellner seine Kreditkarte reichte. Sei eine schöne Leiche.
12
»Du sagst mir nie , dass ich schön aussehe.«
Jake stöhnte, warf sich auf den Rücken, dann auf die linke Seite und zog sich die kratzige rosarote Wolldecke über die Ohren, um die Stimme seiner Mutter nicht hören zu müssen.
»Wieso sagst du mir nie, dass ich schön aussehe?«
»Ich sag es dir dauernd. Aber du hörst nicht zu«, versetzte Jakes Vater unwirsch, desinteressiert.
Jake hörte das ferne Rascheln der Zeitung in den Händen seines
Vaters. Er stöhnte lauter , wünschte vergeblich, er würde nicht hören müssen, was, wie er wusste , gleich kommen würde. Er hatte es schon so oft gehört, er wollte es nicht schon
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