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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Telefon auf dem Nachttisch
    zu läuten. Sie starrte es erschrocken an, bevor sie vorsichtig den Hörer ans Ohr hob. »Hallo?«
    »Wer ist da?«, fragte die Männerstimme ungehalten.
    »Und wer sind S ie ?«, fragte Mattie zurück.
    »Harry Novak«, antwortete der Mann. »Sie haben eben bei mir
    angerufen.«
    Rufnummernanzeige!, dachte Mattie entsetzt. Oder irgendein anderes
    dieser technischen Horrorsysteme, die in wachsender Zahl in das
    moderne Leben eindrangen. Daran hatte sie nicht gedacht. Sie hatte
    überhaupt nicht gedacht. Wie konnte man nur so albern sein?
    »Ich hatte mich verwählt« , erklärte sie Harry Novak. »Bitte verzeihen Sie die Störung.« Der Mann legte auf , ehe sie sich noch lächerlicher machen konnte.
    »Na , das wird mir ja wohl eine Lehre sein« , flüsterte sie und sah, wie ihre Hand zitterte, als sie den Hörer auflegte. Aber noch während sie die Worte sprach, rief sie sich die Nummer ins Gedächtnis, mit der man die Rufnummernanzeige unterdrücken konnte. Wieder hob sie den Hörer
    und wählte *e67, bevor sie die nächste Nummer eintippte. Diesmal
    wurde beinahe sofort abgehoben, als hätte die Person am anderen Ende neben dem Telefon gesessen und auf sein Läuten gewartet. Typisch für eine Frau, die mit einem verheirateten Mann liiert ist, dachte Mattie.
    »Hallo?«, die Stimme der Frau war tief und ein wenig rauchig. Eine
    sympathische Stimme, dachte Mattie. Ziemlich kess. War sie das?
    »Hallo?«, sagte die Frau noch einmal. »Hallo-o?«
    Nein, dachte Mattie. Der Ton war zu unbekümmert, zu selbstsicher.
    Das war nicht der Ton einer Frau, die allein lebte und einen anonymen Anruf bekam.
    Sie wollte schon auflegen und sich der dritten und letzten Nummer
    zuwenden, da sagte die Frau plötzlich »Jason?«, und dann, während
    Mattie noch nach Luft schnappte , »Jason, bist du das?«
    Mattie schleuderte den Hörer weg, sah, wie er am Apparat vorbei flog und mit dumpfem Aufprall auf dem weißen Teppichboden landete. Sie
    grapschte nach ihm, aber er sprang ihr aus der Hand, als hätte er
    plötzlich ein Eigenleben entwickelt. Erst beim dritten Versuch schaffte sie es, ihn aufzulegen.
    »Wahnsinn!«, flüsterte sie heiser. Ihr Atem ging in flachen Stößen, die beinahe schmerzten, weil sie kaum Luft bekam.
    Ein paar Minuten lang blieb sie auf der Bettkante sitzen. Unablässig dröhnte ihr der Name ihres Mannes, von den Lippen der anderen Frau
    gesprochen, in den Ohren. »Jason«, sagte sie nach einer Weile laut. Er hatte diesen Namen doch immer gehasst. Sie legte den Kopf weit in den Nacken und versuchte, ihren Atem unter Kontrolle zu bringen, während sie gleichzeitig eine zitternde Hand in die andere drückte.
    »Das war wirklich ausgesprochen blöd«, beschimpfte sie sich selbst.
    Dann stand sie vom Bett auf und ging schnell aus dem Zimmer. Reiß
    dich zusammen, sagte sie sich. Wasch dir das Gesicht, leg ein bisschen Make-up auf, bescher deinem Mann einen erfreulichen Anblick, einen
    Grund, zu Hause zu bleiben. Als sie kurz danach in ihrem Badezimmer
    vor dem Spiegel stand und nach ihrem Rouge griff , fragte sie sich , wie diese Honey wohl aussah. War sie groß oder klein , blond oder dunkel, mollig oder spindeldürr? Mit geübter Hand trug sie das Rougepuder auf ihre Wangen auf. »Na also, sieht doch gleich besser aus. Ein bisschen Farbe war dringend nötig.«
    So, und jetzt noch die Wimpern. Sie nahm den langen silbernen
    Zylinder mit der Wimperntusche und führte das Bürstchen zu ihren
    Wimpern hinauf. Aber die kleinen Borsten trafen nicht ihre Wimpern, sondern stachen ihr direkt ins Auge.
    »Aua! Verdammt noch mal!«, rief Mattie , als ihr das Bürstchen aus der zitternden Hand fiel und ins Waschbecken rollte. Sie zwinkerte heftig , die schwarze Tusche lief aus ihrem Auge auf die rosig gefärbte Wange und hinterließ dort ein Netz feiner schwarzer Haarstriche , die wie winzige Krater aussahen. »Na wunderbar«, sagte Mattie seufzend. »Ich sehe ja hinreißend aus. Die Anti-Honey!« Sie schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter und griff nach einem Papiertuch, um sich die schwarzen Krähenfüße aus dem Gesicht zu wischen. »Jetzt sehe ich aus, als hätte ich einen Boxkampf hinter mir. Und ich hab ihn verloren«, sagte sie. Du hast verloren, warf sie ihrem Spiegelbild lautlos vor, während sie sich mit einem feuchten Waschlappen das Gesicht abtupfte.
    »Unsinn! Ich hab gerade erst angefangen zu kämpfen«, sagte Mattie
    mit Nachdruck und trug von neuem Rouge auf. Aber ihre Hand

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