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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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sich die Tränen aus dem
    Gesicht, half ihr in das beigefarbene Sofa hinunter. Und die ganze Zeit sprach er kein Wort.
    »Setz dich doch«, sagte sie.
    Er trat unschlüssig von einem Fuß auf den anderen , als bedächte er die Alternativen, die ihm offen standen. »Mattie, meinst du, du kommst zurecht, wenn ich ein paar Minuten verschwinde. Ich brauche unbedingt frische Luft.«
    Mattie schluckte ihre Enttäuschung hinunter. Warum erlaubst du mir
    nicht, dich zu trösten?, fragte sie stumm. »Aber natürlich komme ich zurecht« , sagte sie laut.
    »Ich mach das alles hier sauber, wenn ich zurückkomme.«
    »Soll ich mitkommen?« Törichte Frage, begriff Mattie, als Jake den Kopf schüttelte. Natürlich wollte er sie nicht dabei haben. Welcher
    Mann nimmt schon seine Ehefrau mit, wenn er seine Freundin besucht?«
    »Du bist sicher, dass du zurechtkommst?«
    »Ganz sicher.«
    »Ich bin bald wieder da«, sagte er.
    Matties Blick folgte ihm, als er hinausging. »Fahr vorsichtig«, sagte sie.
    17

    »Jake? Jake, bist du fertig?«
    Mattie warf im Badezimmer einen letzten Blick auf ihr Spiegelbild und stellte erleichtert fest, dass alles so war, wie es sein sollte: keine unerwünschten schwarzen Krakel unter ihren Augen, keine
    widerspenstigen Haarbüschel , die sich aus der Spange in ihrem Nacken gelöst hatten. Sie strich sich noch einmal über den Satinkragen ihres neuen pinkfarbenen Kaschmirpullis und vergewisserte sich , dass die alten Strassclips an ihren Ohren sicher saßen. Alles in Ordnung. Das Einzige, was nicht ganz ins perfekte Bild passte , waren die drei Telefonnummern auf Matties linker Handfläche, die sie an die Torheit des vergangenen Tages erinnerten. Sie hatten sich, hartnäckig wie eine Tätowierung , trotz gründlichen Schrubbern mit Bürste und Seife nicht entfernen lassen. Blieb nur zu hoffen, dass sie Jake nicht auffallen würden. Mattie beschloss , sich keine Sorgen zu machen. Es war zweifelhaft , ob Jake ihr überhaupt nahe genug kommen würde , um etwas zu bemerken. Ein ganz leichtes Zittern war in ihren Fingern spürbar. Sie schob die Hände in die Taschen ihrer grauen Hose und ging hinaus.
    »Jake? Bist du soweit?«
    Noch immer keine Antwort.
    »Jake?«
    Mattie ging durch den Flur zum Gästezimmer und warf einen Blick
    durch die offene Tür. »Jake?«
    Aber das Zimmer war leer , die gelb-weiße Steppdecke achtlos über das Bett geworfen , genau wie am Tag zuvor. Hatte er überhaupt in dem Bett geschlafen? Mattie machte kehrt. Die geschlossene Tür zu Kims
    Zimmer baute sich vor ihr wie ein stummer und unversöhnlicher
    Vorwurf auf. Ihre Tochter hatte sich am vergangenen Abend in ihrem
    Zimmer verschanzt und seither nicht mehr blicken lassen. Sie hatte das Abendessen verweigert und war weder zum Frühstück noch zum
    Mittagessen erschienen. Sie hat inzwischen bestimmt einen Bärenhunger , dachte Mattie , die wusste, wie stolz ihre Tochter war, wie starrköpfig sie sein konnte. Genau wie ihr Vater. Mattie klopfte leise an die Tür und stieß diese vorsichtig auf, als sie auf ihr Klopfen keine Antwort erhielt.
    Das Zimmer war dunkel, die Jalousie heruntergelassen , es brannte kein Licht. Mattie musste einen Moment warten, ehe ihre Augen sich auf die Dunkelheit eingestellt hatten und sie Einzelheiten im Raum
    unterscheiden konnte: das Bett an der gegenüberliegenden Wand, die
    Kommode daneben, den Schreibtisch, der rechts von ihr stand, und den Stuhl davor. Überall im Zimmer lagen Kims Kleider herum. Mattie
    tastete sich langsam durch das Chaos und stieß mit der Schuhspitze
    gegen eine hingeworfene Kassette, die krachend gegen die Schranktür
    flog.
    Die Gestalt im Bett rührte sich, setzte sich auf, schob sich zerzaustes Haar aus dem Gesicht, starrte Mattie an, sagte nichts.
    »Kim? Alles in Ordnung?«
    »Wie spät ist es?«, fragte Kim mit schlafheiserer Stimme.
    Mattie blickte durch das Halbdunkel zu der Uhr an der Wand. Eine
    Uhr, die aussah wie eine kleine Wassermelone , mit rotem , wie von schwarzen Kernen durchsetzten Zifferblatt und einem grünen Gehäuse.
    »Fast vier« , sagte sie. »Hast du den ganzen Tag geschlafen?«
    Kim zuckte mit den Schultern. »Die meiste Zeit, ja. Wie ist es
    draußen?«
    »Sonnig. Kalt. Januar«, antwortete Mattie. »Ist alles in Ordnung?«,
    fragte sie noch einmal.
    »Ja, ja, alles okay.« Kim strich sich mit einer Geste, die sehr an ihren Vater erinnerte, die Haare aus der Stirn. Es war eine Geste, die verriet, dass sie ungeduldig zu werden begann. Sie sah

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