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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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zum Fenster.
    »Geht ihr weg?«, fragte sie.
    »Zu einer Fotoausstellung, und hinterher treffen wir uns mit
    Stephanie Slopen und einem Freund von ihr zum Essen. Willst du
    mitkommen?«
    Selbst in der Dunkelheit konnte Mattie mühelos die spöttische Miene
    ihrer Tochter erkennen. »Ich hab Stubenarrest bis zu meinem vierzigsten Geburtstag, weißt du das nicht mehr?«
    »Was du getan hast, war wirklich nicht in Ordnung«, sagte Mattie.
    »Bist du deshalb zu mir gekommen? Um mir das zu sagen?«
    »Nein.«
    »Warum dann?«
    »Ich mache mir Sorgen um dich.«
    »Hast du nicht schon Sorgen genug, ohne dich auch noch um mich zu
    sorgen?«
    Mattie begann im Geist, das Zimmer aufzuräumen, die Kleider ihrer
    Tochter vom Boden aufzusammeln und zu ordnen. Kim war immer so
    ordentlich und genau gewesen. Wann hatte sie sich in so eine Schlampine verwandelt?
    »Ich kann’s nicht ändern. Ich mache mir trotzdem Sorgen um dich.
    Ich weiß, was für eine schwierige Zeit du jetzt durchmachst.«
    »Es geht mir gut, Mama«, versicherte Kim.
    »Vielleicht täte es dir gut, wenn du jemanden hättest, dem du dich
    anvertrauen kannst...«
    »Was soll das heißen? Redest du von einem Psychiater?«
    »Vielleicht.«
    »Glaubst du, dass ich verrückt bin?«
    »Aber nein, natürlich nicht«, sagte Mattie rasch. »Ich denke nur, es wäre eine Hilfe für dich, wenn du dich irgendwo aussprechen könntest.«
    »Ich hab doch dich.« Kims Blick flog durch die Dunkelheit zu ihrer
    Mutter. »Oder nicht?«
    »Doch, natürlich. Aber ich bin Teil des Problems, Kim«, sagte Mattie.
    »Du bist nicht das Problem. Er ist es.«
    »Dein Vater hat dich sehr lieb. Das weißt du.«
    »Ja, klar. Viel Vergnügen heute Abend.« Kim ließ sich wieder in die Kissen fallen und zog sich die Decke über den Kopf. Es war klar, dass das Gespräch für sie beendet war.
    Mattie zögerte einen Moment, dann ging sie leise hinaus und schloss
    die Tür hinter sich. Es gab noch eine Menge zu sagen, aber sie besaß nicht die Kraft dazu. Und nicht die Zeit, dachte sie mit einem Blick auf ihre Uhr. Wo war Jake? Sie sollten jetzt fahren.
    »Jake?«, rief sie wieder , als sie die Treppe hinunterging.
    Sie wusste sofort, dass er am Telefon war, als sie die geschlossene Tür seines Arbeitszimmers sah. Und sie wusste, dass er mit Honey
    telefonierte, noch ehe sie in der Küche den Hörer des anderen Apparats abhob.
    »Es tut mir Leid«, sagte er gerade.
    »Hör auf, dich zu entschuldigen« , erwiderte Honey mit ihrer rauchigen Stimme, die Mattie nie mehr vergessen würde.
    »Sie hat das ohne mein Wissen geplant. Ich kann da jetzt nicht mehr
    abspringen.«
    »Ich bin diejenige, die sich entschuldigen sollte. Ich hätte gestern für dich da sein sollen.«
    »Du konntest doch nicht wissen , dass ich komme.«
    »Ich weiß nicht , warum ich ausgerechnet gestern so früh ins Fitness-Studio gegangen bin.«
    »Macht ja nichts. Dann eben morgen Abend«, unterbrach Jake.
    »Morgen Abend, komme, was da wolle.«
    »Klingt gut. Was unternehmen wir?«
    »Ich hoffte, wir würden zu Hause bleiben.«
    »Klingt noch besser. Um sieben?« »Ich kann’s nicht erwarten , dich zu sehen« , sagte Jake. »Ich liebe dich.«
    Mattie legte auf, bevor sie die Erwiderung ihres Mannes hören
    musste.
    »Was meinst du?«, fragte Mattie, die neben Jake in der kleinen Galerie in der Erie Street stand und immer noch das belauschte Gespräch in den Ohren hatte. Der Boden aus gebleichtem Holz glänzte im Licht der
    indirekten Beleuchtung. Ein breites Fenster nahm die Hälfte der
    Nordwand des Ausstellungsraums ein. An den übrigen Wänden hing
    eine aufregende Auswahl an großen Farbfotografien: eine junge
    Mexikanerin in einem leuchtenden Kleid, mit Blumen im Haar und
    einem Kruzifix um den Hals, posierte vor dem Gemälde einer Jungfrau
    Maria, die vor einem mit Wölkchen gesprenkelten Himmel schwebte,
    und die gemalten Blumen zu Füßen der Jungfrau vermischten sich mit
    den Blumen am Saum des Kleides, das das junge Mädchen trug; auf einer rissigen türkisgrünen Wand eine Schar gemalter Engel, die über ein
    kleines Schwarz-Weiß-Foto eines jungen Mannes wachten, ein großer
    Fernsehapparat , der völlig unmotiviert auf einem Tisch vor dem gemalten Hintergrund einer altmodischen Landschaft stand; eine dicke , grimmig dreinschauende Lateinamerikanerin in einem goldgesprenkelten blauen Kleid , die anklagend in die Kamera blickte , furchterregender als die Reihe uniformierter Generäle hinter ihr.
    »Sie gefallen mir« ,

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