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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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sagte Jake.
    Ich liebe dich, flüsterte Honey.
    »Warum?« , fragte Mattie. Warum bist du hier?
    Jake lachte etwas verlegen. »Ich bin Jurist, Mattie«, sagte er. »Ich verstehe nichts von Kunst. Gefallen sie dir?«
    »Ich liebe sie«, sagte Mattie überschwänglich und biss sich auf die Zunge.
    Ich liebe dich, flüsterte Honey.
    »Warum?« Warum bin ich hier?, fragte sie sich und versuchte , sich das frühere Gespräch aus dem Kopf zu schlagen. »Der Gebrauch von Farbe
    und Komposition« , erklärte sie , mit dem Klang ihrer eigenen Stimme die unerwünschten Echos bannend. »Die Art , wie der Fotograf Natur und Künstlichkeit verbindet, das eine benutzt, um das andere zu ergänzen und zu akzentuieren. Wie er manchmal die Grenzen zwischen beiden
    verschwimmen lässt. Er hat eine wunderbare Art, bestimmte unbelebte Objekte herauszugreifen , um durch sie etwas über das Selbstbild einer Kultur auszusagen. Und wie sich in diesen Bildern visuelle Sprache mit persönlichem Verständnis verbinden!«
    »Das alles siehst du?«
    Mattie musste lachen. »Ich habe den Katalog gelesen , bevor wir hergekommen sind.«
    Auch Jake lachte , und Mattie wurde bewusst, wie sehr sie dieses Lachen mochte, das sie in den langen Jahren ihrer Ehe so selten gehört hatte. Lachte er mit Honey zusammen? Ich kann es nicht erwarten, dich zu sehen, hatte er gesagt.
    Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Fotografie eines jungen
    Mannes, der in herausfordernder Haltung vor einer Wand stand, die mit gemalten Bildern des Krieges bedeckt war – Soldaten, Panzer, Kanonen, Explosionen. Der Junge stand mit dem Rücken zur Kamera. Er hatte das rote T-Shirt über der Blue Jeans hochgezogen, um einen breiten weißen Verband zu enthüllen , der sich wie eine Narbe quer über seinen Rücken zog.
    »Stark«, sagte Jake. »Wer ist der Fotograf?«
    »Rafael Goldchain. 1956 in Chile geboren. Seine jüdischen Großeltern emigrierten in den Dreißigerjahren aus Deutschland nach Argentinien.
    Seine Eltern sind dann irgendwann nach Chile übergesiedelt, wo Rafael geboren wurde, und ließen sich schließlich Anfang der Siebzigerjahre in Mexiko nieder. Rafael ging nach Israel. Er studierte dort an der
    Hebräischen Universität in Jerusalem und emigrierte 1976 nach Toronto in Kanada, wo er seither lebt.« »Ziemlich konfuser Typ.«
    Da ist er nicht der Einzige, dachte Mattie. Sie sah wieder in den
    Katalog in ihrer Hand. »Hier steht, wenn er in Lateinamerika
    fotografiert, habe er das Gefühl, eine sinnvolle und zielgerichtete Art der Selbstfindung zu betreiben«, zitierte sie. »Indem er innerhalb dieser Kultur in einen Schaffensprozess eintritt, vertieft er sein Gefühl der Zugehörigkeit.«
    »Er benutzt also seinen Beruf, um sich mit sich selbst auseinander zu setzen«, sagte Jake.
    Das tun wir bis zu einem gewissen Grad wahrscheinlich alle, dachte
    Mattie.
    »Und was ist dein nächster Schritt, wenn du die Ausstellung gesehen
    hast?«, wollte Jake wissen.
    Er fragt mich tatsächlich danach, wie ich die letzten sechzehn Jahre gearbeitet habe. Mattie wusste nicht recht, ob sie ärgerlich oder erfreut sein sollte. Wenn du dir die Zeit genommen hättest , mich kennen zu lernen, dachte sie, so viel Zeit wie du im Lauf der Jahre an Frauen wie Honey Novak verschwendet hast, dann würdest du vielleicht nicht
    fragen müssen.
    Morgen Abend, hörte sie Jake sagen. Morgen Abend, komme, was da. wolle.
    »Ich überlege mir, ob es unter meinen Kunden jemanden gibt, den
    solche Bilder ansprechen würden«, erklärte sie und wies auf eine
    Fotografie an der Wand gegenüber.
    Das Bild zeigte eine Jukebox in der Ecke eines blau-grünen Zimmers,
    die förmlich erdrückt wurde von den Postern halb nackter Frauen
    ringsum an den Wänden. Besonders auffallend war das Bild einer Frau in einem pinkfarbenen Korsett und schwarzen Nylonstrümpfen , die ihre Finger seitlich in ihr Höschen geschoben hatte , als wollte sie es gleich über ihr wohlgerundetes Gesäß herunterziehen.
    »Ich könnte mir vorstellen, dass das über dem Sofa in deinem
    Arbeitszimmer ganz toll aussieht.«
    Jake lachte, nicht sicher, ob es ihr ernst war. »Ich weiß nicht, ob meine Partner das zu würdigen wüssten. Sie haben immer noch an der
    gebackenen Kartoffel zu kauen.«
    Mattie wusste , dass er von der Claes-Oldenburgh-Lithografie sprach , die er sich auf ihr Betreiben an die Wand hinter seinen Schreibtisch gehängt hatte. »Ich dachte an dein Arbeitszimmer zu Hause.«
    Jake nickte und wurde plötzlich rot

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