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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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kreischte. Der Junge, wer immer er war, tobte wie ein Wahnsinniger durch das Zimmer, um seine Sachen einzusammeln,
    und rannte dann, Entschuldigungen brüllend, hinaus und die Treppe
    hinunter.
    »Wie konntest du nur so etwas tun?«, schrie Mattie , die unten die Haustür zufallen hörte.
    »Glaubst du vielleicht, wir sind mit Absicht eingeschlafen?«, schrie Kim zurück. »Wieso musstest du mich in so eine peinliche Situation
    bringen?«
    Mattie starrte ihre trotzige Tochter an, die im folgenden Monat
    sechzehn Jahre alt werden würde. Mein Baby, dachte sie und schüttelte ungläubig den Kopf. Am liebsten hätte sie Kim gepackt und kräftig
    geschüttelt, aber hatte sie ein Recht, ihre Tochter dafür anzuschreien, dass sie das Gleiche getan hatte wie ihre Mutter?
    »Ich kann mich damit jetzt nicht befassen«, sagte Mattie steif und zog sich in die Sicherheit ihres eigenen Zimmers zurück. Sie hörte, wie Kim die Tür hinter ihr zuknallte.
    Wie betäubt setzte sie sich auf dem Bett nieder, starrte einen Moment erschöpft ins Leere. Was für ein Abend, dachte sie und ließ sich ans Kopfbrett des Betts zurücksinken. »Und er ist noch nicht vorbei.« Sie griff zum Telefon und tippte die Nummer ein, die sie sich gemerkt hatte.
    Es läutete ein-, zwei-, dreimal, dann wurde abgehoben.
    »Hallo?« Die leicht rauchige Stimme, die sie nun schon kannte.
    »Ist dort Honey Novak?«, fragte Mattie der Form halber.
    »Ja. Wer spricht denn da?«
    »Mattie Hart«, antwortete Mattie ruhig und versuchte, sich das Gesicht der Frau vorzustellen , als sie diese nach Luft schnappen hörte. »Ich möchte gern meinen Mann sprechen.«
    20

    Keine Stunde später hörte Mattie das Brummen des Garagentors , als dieses sich öffnete und wieder schloss. Langsam stand sie aus dem Sessel im Wohnzimmer auf und setzte mit peinlicher Präzision einen Fuß vor
    den anderen. Ihr Herz tobte , als wollte es ihr aus der Brust springen. Wie bei diesem Geschöpf in Alien, dachte sie und fand den Vergleich sehr passend. Ihr Körper war von einer geheimnisvollen Macht in Besitz
    genommen worden, über die sie keine Kontrolle hatte und die sie nicht verstand: die sie zu einem Verhalten zwang, das ihrem Wesen völlig
    fremd war. Was also war sie anderes als ein seltsames Geschöpf , das sich sogar selbst fremd war?
    Bleib ruhig , ermahnte sie sich , während sie unsicher zur Haustür tappte und sich mit der zitternden Hand durch das frisch gewaschene Haar fuhr, ehe sie sie in der Tasche ihres blauen Morgenrocks versteckte.
    Das ist wirklich nicht der Moment für theatralisches Getue. Ach nein?, fragte eine feine Stimme. Du betrügst deinen Ehemann , dein Ehemann betrügt dich , und du hast deine fünfzehnjährige Tochter mit irgendeinem Kerl , den du nicht mal kennst, im Bett erwischt. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass du demnächst sterben wirst. Gibt es einen besseren Moment für theatralisches Getue?
    Mattie erreichte das Vestibül in dem Moment, als Jake draußen den
    Schlüssel ins Schloss schob. Sie blieb stehen und atmete noch einmal tief durch, als Jake die Haustür aufstieß und vom dramatischen Heulen des Windes und einem Flockenwirbel begleitet ins Haus trat. Ein großer
    Auftritt, dachte Mattie. Sehr passend. Zuerst bemerkte Jake sie gar nicht.
    Er hielt den Kopf gesenkt, als trotzte er immer noch Wind und
    Schneetreiben, und klopfte den Schnee, den er auf dem kurzen Weg von der Garage ins Vestibül mitgenommen hatte, von seinen Stiefeln. Erst als er die Stiefel und den Mantel ausgezogen hatte, sah er sie.
    »Da draußen stürmt es ganz schön«, sagte er, während er seinen
    Mantel aufhängte und sich den Schnee aus dem Haar schüttelte. »Zum
    Glück hatte ich Stiefel im Wagen.« Er hielt inne und sah Mattie zum ersten Mal, seit er zur Tür hereingekommen war, direkt an. Genug der leichten Plaudereien, sagte sein Blick. »Wie fühlst du dich? Geht’s dir gut? Ist etwas passiert?«
    »Mir geht’s gut«, sagte Mattie.
    Jake zog irritiert die Augenbrauen zusammen. »Ich verstehe nicht. Am Telefon sagtest du doch, ich müsste sofort nach Hause kommen. Das
    klang ziemlich dringend. Stimmt denn was nicht?«
    »Du meinst, abgesehen davon, dass ich demnächst sterbe und du
    andere Frauen vögelst?«
    Eine Sekunde blieb es grabesstill.
    Ich bin zu weit gegangen, dachte Mattie und hielt den Atem
    an.
    »Abgesehen davon, ja«, sagte Jake.
    Und plötzlich lachten sie. Erst war es nur ein nervöses, zaghaftes
    Kichern, aber es wuchs sich rasch zu

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