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Zaehme mich

Zaehme mich

Titel: Zaehme mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Maguire
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glauben. Die Szene mit seiner blöden Familie hatte ihn ziemlich mitgenommen. Er würde sich schon wieder beruhigen, sie musste ihm nur ein bisschen dabei helfen. Sie streichelte sein fettiges Haar und wünschte sich, ihm den Kopf waschen zu dürfen.
    »Wie viel Zeit bleibt uns dann noch?«
    Er blickte zu ihr auf. »Du willst also trotzdem mit mir zusammen sein?«
    »Was hast du denn gedacht?« Sie zwang sich zu einem Lächeln.
    »In einem Monat ziehe ich um.«
    Ein Monat, das war lang genug, um ihn umzustimmen.
    Mehr als genug. Sarah ließ sich nichts von ihrer Hoffnung anmerken und nickte tapfer. »Okay, dann wollen wir unsere Zeit nicht mit Streiten und Weinen vergeuden.«
    Schluchzend vergrub er sein Gesicht wieder in ihrem Schoß, doch diesmal schob er ihr zuerst den Rock hoch.
    Seine Stoppeln schabten über ihre Schenkel, und seine Tränen machten sie nass. »Ich danke dir, Sarah, o meine Sarah, ich danke dir.« Sie streichelte seinen Kopf und fühlte sich stark.

7
    Den ganzen August war sich Sarah sicher, dass Mr. Carr in Sydney bleiben würde. Ihre nachmittäglichen Rendezvous waren leidenschaftlicher denn je, und viele Male sagte er ihr, dass sie für immer zusammen sein würden. Für sie war es keine Frage des Glaubens, denn sie spürte die Wahrheit dieser Worte in ihrem tiefsten Inneren. Bei ihm zu sein war für sie wie Atmen, alles andere war wie Laufen unter Wasser.
    Jamie meinte, dass sie sich etwas vormachte, aber er war viel zu eifersüchtig für eine objektive Einschätzung.
    Außerdem kannte er Mr. Carr nicht so, wie sie ihn kannte.
    Er verstand nicht, dass Mr. Carr all diese Dinge zur Klasse, zu seiner Familie und zum Rektor nur sagte, weil er sie sagen musste, um irgendwie durchzukommen. Es waren öffentliche Worte, die zu seinem öffentlichen Gesicht und seinem öffentlichen Auftreten gehörten. Nur Sarah sah sein wahres Selbst und hörte seine wahren Gedanken, und nur sie konnte daher wissen, dass nichts auf der Welt ihn von ihrer Seite reißen konnte.
    Dann, am letzten Schultag, gab es eine Versammlung. Er bekam ein Abschiedsgeschenk – eine Aktentasche aus Leder mit seinen Initialen im Griff – und er hielt eine kurze Ansprache, in der er die Schule in einem Vorort von Brisbane nannte, an der er in Zukunft unterrichten würde, und mit einem Mal schien alles so konkret. Zum ersten Mal dachte sie, dass Jamie Recht haben könnte. Vielleicht sprach Mr. Carr nur deshalb nie über irgendwelche Details seines Umzugs, weil er Sarah nicht aufregen und ihnen das Zusammensein nicht verderben wollte. »Damit du kein Theater machst« – so hatte es Jamie ausgedrückt.
    Doch dann teilte ihr Mr. Carr mit, dass er eine Überraschung für sie hatte, und sie kam sich dumm vor, weil sie an ihm gezweifelt hatte. Die Überraschung würde gar keine Überraschung sein, sondern die Ankündigung, dass er nur die Schule verließ, aber nicht die Stadt. Die Erklärung, dass er natürlich nie von ihr fortgehen konnte.
    »Morgen früh …« Er drückte ihre Hand so fest, dass sie sich beherrschen musste, um nicht zusammenzuzucken.
    »Morgen früh hole ich dich um acht am Ende deiner Straße ab.«
    »Ich sehe dich an einem Samstag?« Sarah küsste ihn.
    »Das ist aber toll. Wo fahren wir denn hin? Was soll ich anziehen?«
    »Wo wir hinfahren, das ist die Überraschung. Zieh was Hübsches an. Und sag deiner Mum, dass du erst spät nach Hause kommst.«
    Am frühen Morgen des 28. August 1995 war es so kalt, dass man eigentlich eher Jeans gebraucht hätte, aber er hatte Sarah gebeten, etwas Hübsches zu tragen, also zog sie ein leichtes weißes Sommerkleid mit aufgestickten Schmetterlingen am Oberteil und Saum an. Mr. Carr gefiel es; er küsste all die kleinen Schmetterlinge und legte ihr im Auto seine Lederjacke um. Während der Fahrt redete er nicht. Das Radio lief – irgendein Sender mit leichter Musik –, er summte zu den Stücken und schaute immer wieder mit einem Lächeln zu Sarah herüber.
    Die Fahrt war kurz. »Überraschung«, sagte er und hielt vor der Parramatta Motor Lodge.
    »Wir gehen ins Motel?«
    »Ich melde uns an. Du wartest hier.« Er trabte über den Parkplatz, und nach einer Minute kam er mit einem Schlüssel an einem Holzklotz in der Faust zurück.
    »Komm, Sarah, die Zeit vergeht. Mach schon.«
    Sarah war zum ersten Mal in einem Motelzimmer, aber sie nahm ihre Umgebung kaum wahr. Orangefarbene Vorhänge, ein angestoßener Spiegel und eine allgemeine Klammheit – das sollten ihre einzigen bleibenden

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