Zaehme mich
Sachen über deine Freundin Sarah erzählt.
Allerdings haben sie mich auch beschworen, dir nichts davon zu sagen, angeblich weil du dann stinkig wirst, aber ich bin mir sicher, dass sie mich nur auf den Arm nehmen wollten. Wahrscheinlich haben sie Angst, dass du den Spielverderber machst und mir die Wahrheit erzählst.«
Jamie sah Shelley mit hochgezogenen Brauen an. Sie senkte den Blick.
»Jedes Wort war wahr«, verteidigte sich Jess.
»Das werden wir gleich sehen.« Mike rieb sich übers Kinn. »Wahr oder falsch: Sarah haust in einer schmutzigen Wohnung, in der es keine Möbel und Essensvorräte gibt, dafür aber überall Bücherhaufen und eine Kühlbox voller Bier.«
Jamie lachte. »Das ist ungefähr zu fünfzig Prozent wahr.«
»Okay«, sagte Jess, »sie hat natürlich ein Bett und vielleicht einen Stuhl. Aber das mit dem Dreck und den Büchern stimmt.«
»Und dass sie während der Highschool Vollzeit als Kellnerin gearbeitet hat und trotzdem den besten Englischabschluss im ganzen Bundesstaat geschafft hat –
ist das dann auch nur ungefähr zur Hälfte wahr?«
Lächerlicherweise fühlte Jamie echten Stolz. »Nein, das ist hundert Prozent richtig. Und in Französisch war sie Drittbeste.«
»Da schuldet uns wohl jemand eine Entschuldigung.«
Jess berührte Shelley am Arm. Shelley bedachte Jamie mit einem vorsichtigen, kleinlauten Lächeln.
»Moment, ich bin ja noch nicht mal zu den interessanten Sachen vorgedrungen.« Mike beugte sich zu Jamie und senkte die Stimme. »Stimmt es, dass sie Männer mit dem Rezitieren von Gedichten verführt?«
Jamie bemühte sich, sein Zusammenzucken zu verbergen. »Das ist schon vorgekommen.«
»Aber normalerweise macht sie sich nicht die Mühe, sondern sagt dem Typ einfach, dass sie ihn mit zu sich abschleppt«, ergänzte Jess.
Auch das stimmte, doch Jamie zog es vor, sich nicht dazu zu äußern.
»Und das mit der französischen Rugby-Mannschaft?«
Jamie warf Shelley einen giftigen Blick zu. Sie hatte geschworen, nichts davon herumzutratschen. »Es war nicht die ganze …«
Mike klatschte in die Hände. »Die muss ich einfach kennen lernen.«
»Ich glaube nicht, dass dir diese Geschichten ein richtiges Bild von Sarah vermitteln.«
»Aber sie sind doch wahr?«
Jamie zuckte die Schultern. Es hatte nicht viel Sinn, Sarahs Ehre zu verteidigen, da sie genau diese Geschichten – und schlimmere – selbst erzählen würde, wenn sie zu der Party aufgekreuzt wäre. Doch hätte Mike ihren zarten Knochenbau gesehen, hätte er ihre gerundeten Vokale und ihr tiefes, leises Lachen gehört, würde er verstehen, dass man Sarah auch nach endlos vielen Skandalgeschichten noch nicht annähernd kannte, selbst wenn man eineinhalb Tage nichts anderes gehört hatte.
Sarah Clark war unübersetzbar.
»Hab ich’s dir nicht gesagt? Ich erwarte eine angemessene Entschuldigung, Mister.« Jess kitzelte Mike am Bauch, und er schlug scherzhaft nach ihren Händen.
Dann nahm er sie um die Hüfte und küsste sie. Kichernd drückte sich Jess an ihn, und auf einmal schienen sie vergessen zu haben, dass sie mitten in einem Gespräch waren.
»Ah, junge Liebe«, meinte Shelley. »Ich weiß noch, wie es bei uns war, damals in der guten alten Zeit.«
Jamie zwang sich zu einem Lachen. Er und Shelley waren seit sechs Monaten zusammen; Jess und Mike seit fast drei.
»Oh, ich würde gern jeden meiner Sätze damit unterstreichen, dass ich dir die Zunge in den Mund schiebe. Aber wenn ich erst anfange, dich zu küssen, dann kann ich vielleicht nicht mehr damit aufhören.«
Shelley nahm seine Hand. »Vielleicht will ich, dass du nicht mehr damit aufhörst.«
Jamie konnte nicht umhin zu bemerken, dass Mike Jess gegen die Pooleinzäunung gedrängt hatte, und dass ihre beiden Hände auf seinem Rücken lagen. Das hätte Sarah sehen müssen. Sie würde sich in den Arsch beißen, wenn er ihr erzählte, welchen Anblick sie da verpasst hatte: Jess, die endlich ihre Prüderie aufgegeben hatte.
Jamie küsste Shelley, weil sie es von ihm erwartete, und dann küsste er sie weiter, weil er – wie immer – feststellte, dass es viel schöner war, Shelley zu küssen, als er es in Erinnerung hatte. Eigentlich war sie doch eine tolle Frau, und sie gaben ein gutes Paar ab. Shelley mochte seinen Fleiß und seine zurückhaltende Art; sie konnte es gar nicht erwarten, dass er seinen Uniabschluss machte und sein eigenes Büro als Wirtschaftsprüfer eröffnete; sie träumte davon, seine Sekretärin zu sein und auch seine
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