Zaehme mich
gewinnen, warf Jamie sein fast volles Bier in einen Karton, holte sich ein anderes aus einer Schachtel, die etwas weiter weg stand, öffnete es und trank. Er hatte keine Ahnung, wie er Sarahs Äußeres beschreiben sollte.
Sie war nicht hässlich. Sie sah nicht aus wie eine Crack-Nutte, überhaupt nicht wie eine Nutte oder eine Süchtige.
Sie sah nicht alt genug aus für eine eigene Wohnung, ein Studium an der Universität und ein Leben mit Alkohol, Zigaretten und Sex. Sie sah nicht danach aus, als könnte sie so eine tiefe Stimme haben.
Sie sah aus wie – und war ja auch – die Tochter von Akademikern der oberen Mittelschicht, die in der Vorstadt wohnten. Für die meisten Leute war sie klein und dünn, für Jamie durchschnittlich. Ihre Haut war so blass, dass man sie für eine englische Touristin halten konnte. Sie war die einzige Frau, die ihr Haar bis zum Hintern runter tragen konnte, ohne wie eine religiöse Spinnerin auszusehen. Es glänzte und war nicht ganz schwarz, und wenn sie es zurückband, war ihr Pferdeschwanz dicker als Jamies Handgelenk. Ihre Augen waren einfach beängstigend.
Natürlich sagte er nichts von alldem zu Mike. Er zuckte bloß die Achseln und meinte: »Sie ist schon okay.« Dann machte er sich auf die Suche nach Shelley.
2
Die meisten Kids, das wusste Sarah, beantragten ihre Lernfahrerlaubnis am sechzehnten Geburtstag, übten dann jeden Samstag fahren, bekamen zu ihrem Siebzehnten den Führerschein und zum Achtzehnten ein brandneues Auto von Mum und Dad. Den ersten Schritt hatte Sarah zwar geschafft; mit sechzehn erfüllte sie – gerade noch – die Erwartungen ihrer Eltern. Doch dann ging alles zum Teufel, und das nächste Jahr musste sie sich abstrampeln, damit sie überhaupt etwas zum Essen und Anziehen hatte und in der Schule bleiben konnte. Deshalb hatte sie weder Zeit noch Geld für Fahrstunden. Ihr siebzehnter Geburtstag versank in einem Nebel von Trinken, Rauchen und Ficken, gefolgt von einem weiteren Jahr, in dem sie ums nackte Überleben kämpfte. Bis zu ihrem achtzehnten Geburtstag kam sie zu dem Schluss, dass es besser für sie war, keinen Führerschein zu haben, weil sie ziemlich häufig entweder betrunken oder high war. Und sich von Männern im Auto mitnehmen zu lassen, war die einfachste Methode, um sie in ihre Wohnung zu kriegen.
Der Nachteil ihrer autolosen Existenz war, dass sie auf das private Busunternehmen vor Ort angewiesen war, um jeden Tag zur Arbeit und wieder nach Hause zu kommen.
Als einziges Busunternehmen der Gegend war es konkurrenzlos, und deshalb hielten sich die Fahrer auch nicht besonders streng an den Fahrplan. Manchmal setzten sie sich einfach darüber hinweg und beendeten ihre Schicht eine oder zwei Stunden früher. In solchen Fällen –
und nachdem sie sich an der Haltestelle zwanzig Minuten lang den Arsch abgefroren hatte, sah Sarah ein, dass heute wieder ein solcher Tag war – musste sie entweder laufen, trampen oder Jamie anrufen. Sie hatte Jamie geschworen, nie per Anhalter zu fahren, und sich selbst, es nur bei Tageslicht zu machen.
»Scheiße.« Sie stampfte mit den Füßen, um wieder etwas warm zu werden, doch ihre Beine waren müde nach der doppelten Schicht, und das Stampfen tat weh, also ließ sie es sein. Sie blickte zurück zum Steakhouse. Wenn sie telefonieren wollte, musste sie da wieder rein. Und das wollte sie eigentlich nicht: Nach elf wurden die Besoffenen gemein, und sie trug immer noch ihre Uniform, was bedeutete, dass sie die Kerle nicht mal in die Eier treten und sie auch nicht auffordern konnte, sich ins Knie zu ficken. Jedenfalls nicht, wenn sie ihren Job behalten wollte.
»Scheiße, Scheiße, Scheiße.« Ihre Lederjacke war zwar warm, doch der Wind peitschte um ihre nackten Beine.
Ihre schmerzenden, müden, kalten, nackten Beine.
Fluchend trat sie an den Rand des Gehwegs und streckte den Daumen raus.
Es dauerte nicht lang – drei oder vier Minuten, sieben oder acht Autos –, bis ein ziemlich neuer Commodore-Kombi anhielt. »Wo wollen Sie hin?«, rief der Fahrer. Er war um die vierzig, braun, schütteres Haar, Nickelbrille.
Sarah spähte in den Wagen: ein Kindersitz und zwei Bilderbücher auf dem Rücksitz; eine leere Coladose vorn; ein blauer Bär mit gepunkteter Fliege am Rückspiegel.
»North Parramatta. Gleich hinter dem Gefängnis. Ist das für Sie ein Umweg?«
»Überhaupt nicht. Steigen Sie ein.«
Im Auto roch es wie unten in Sarahs Kühlschrank, aber es war warm, und sie war froh, dass sie nicht
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