Zaehme mich
ihn am liebsten geküsst. Es war ein rein platonischer Wunsch oder zumindest überwiegend platonisch. Jamie zu küssen war natürlich und tröstlich für sie. Damit signalisierte sie ihm: schon gut, denk dir nichts, wenn Unstimmigkeiten zwischen ihnen auftauchten. Doch vielleicht waren diese Unstimmigkeiten zu groß geworden. Wenn sie ihn auf dem Bett küsste, das er mit Shelley teilte, überschritt sie damit nicht irgendeine Grenze? Eine Grenze, die immer nebelhaft und veränderlich gewesen war, die nun jedoch klar und unverrückbar schien?
Sarah hasste klare Grenzen. Sie hasste Shelley. Sie hasste Jalousien und Grünanlagen in Wohnsiedlungen und den Geruch gebratener Zwiebeln. Sie küsste ihn. Ein wenig zu lang. Mit offenen Lippen. Mit einer leichten Zungenberührung.
»Was war das denn?«
»Ein Kuss. Damit du weißt, dass ich mich ehrlich für dich freue.« Sarah musterte aufmerksam sein Gesicht.
Hatte er etwas gefühlt? Er musste etwas gefühlt haben. Sie selbst hatte ein warmes Gefühl.
»Shelley hat Punsch gemacht. Komm, wir probieren ihn.« Jamie ging aus dem Zimmer, und Sarah spürte den unvertrauten kalten Wind der Zurückweisung.
Sarah trank ein Glas von Shelleys Punsch. Er war zu süß, und die Ananasstücke waren zu groß und blieben ständig am Boden des Glases kleben. Nach einer höflichen Bemerkung machte sie sich über die Flasche Jim Beam her.
»Ah, eine Frau nach meinem Herzen.« Mike blinzelte ihr zu, und Sarah schenkte ihm ein Glas ein.
»Uuh, schon so früh die harten Sachen?« Shelley hatte die Augenbrauen hochgezogen, und ihr Blick huschte nervös zu Jess.
»Ach, für einen Bourbon ist es nie zu früh.« Sarah leerte das ganze Glas in einem Zug. Sie hatte nicht vorgehabt, in diesem rasanten Tempo zu trinken, aber sie hatte ja auch nicht damit gerechnet, dass sie Jamie küssen und von ihm eine Reaktion auf den Kuss erwarten würde, und auch nicht, dass man ihr zublinzelte und die Nase über sie rümpfte. Sie schenkte sich noch ein Glas ein und lächelte Mike an. »Willst du auch noch eins?« Sie deutete auf sein immer noch volles Glas.
Er hob es und trank es leer, ohne die Augen von ihr zu nehmen.
»Hey Mike, ich muss dir mal das neue Auto zeigen.
Shelleys Bruder hat es uns zum Großhandelspreis besorgt«, sagte Jamie.
Sarah äußerte, dass sie das neue Auto auch gern anschauen würde, doch Jamie ignorierte sie und verschwand mit Mike. Das tat weh. Jamie ignorierte sie sonst nie. Er war doch nicht etwa sauer wegen dem Kuss?
Dabei war es wirklich ein verdammt guter Kuss gewesen.
Sobald die Männer draußen waren, sprudelte es aus Jess und Shelley heraus. Schau dir den Diamantring an, ist es nicht wunderbar, eine eigene Wohnung zu haben, die sooo schön ist! Und die Einrichtung! Hach, und über die Einrichtung gab es ja so viel zu reden. Sarah interessierte sich leider nicht die Bohne für die verschiedenen Gewissensnöte und Widrigkeiten beim Kauf eines Sofas; sie hatte ihres für fünfundzwanzig Dollar bei einem Garagenverkauf erstanden.
Sarah hoffte, dass Jamie und Mike zurückkamen, bevor sie vor Langeweile starb. Sie wollte bestimmt keine Sexistin sein, zumal sie dabei ihr eigenes Geschlecht diskriminierte, aber die Wahrheit war einfach, dass neunzig Prozent der Frauen ihres Alters kotzlangweilig waren. Im Vergleich zu Männern ihres Alters, von denen nur ungefähr siebzig Prozent komafördernd waren. Und wenn sie sich zehn Jahre dazu- und die Kleider wegdachte, gab es kaum einen lebenden Mann, an dem Sarah nichts Interessantes finden konnte.
»Aber auf eins war ich nicht gefasst«, plapperte Shelley.
»Dieser ständige Druck, es zu machen. Früher war er mit ein-, zweimal pro Woche bei meinen Eltern zu Hause zufrieden, aber jetzt kommt er wirklich schon jede Nacht an!«
»Macht es dir denn keinen Spaß mit ihm?«, fragte Sarah.
Shelley und Jess schauten sich an und verdrehten die Augen. »Darum geht es doch gar nicht, Sarah. Es ist einfach anstrengend, wenn man es jede Nacht macht.
Manchmal möchte ich nur kuscheln und einschlafen.«
Das eine Mal, als Sarah mit Jamie geschlafen hatte, war er sehr behutsam gewesen, aber auch schnell. Das war lange her, aber selbst wenn man weniger Rücksichtnahme und längere Dauer unterstellte, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, was daran so anstrengend sein sollte, mit Jamie zu vögeln. Außerdem hatte die blöde Schlampe sein Leben ruiniert, da konnte sie ihn doch wenigstens ranlassen, ohne rumzujammern.
»Und wie
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