Zaehme mich
eine Verabredung nicht einhalten konnte. Das Baby war unberechenbar, er war ständig gefordert und konnte es nicht allein lassen. Shelley war erschöpft, er musste ihr ständig beistehen und konnte ihr nichts abschlagen. Und dazu kamen noch die Arbeit, der Haushalt und die Hochzeitsvorbereitungen. Er versprach Sarah, sich mit ihr zu treffen, sobald es irgendwie ging.
Sarah ließ ihn wissen, dass sie ohnehin sehr beschäftigt war. Das Abschlussjahr mit den Prüfungen war anstrengender als erwartet, und ihr bisheriges Studienprogramm erwies sich als unzureichend. Jetzt war sie jeden Morgen schon um sieben im Literatur-Aufenthaltsraum, um zusammen mit den anderen Unentwegten Kaffee zu trinken und nervös mit dem Kugelschreiber zu klicken. Von sieben bis neun diskutierten sie, ob Slesser wirklich ein Modernist war oder nicht und ob Hope ein Genie war oder doch nur ein Langweiler. Manchmal halfen sie sich gegenseitig beim Formulieren von Arbeiten und Fragestellungen. Sie aßen Schokokekse, Haschischplätzchen oder Erdnüsse, die sie aus der Unibar klauten. Um neun wünschten sie einander viel Glück, küssten sich leicht oder fest und machten sich auf den Weg zu ihren Seminaren oder Besprechungen.
Mittags trafen sie wieder zusammen, aßen die Reste von der morgendlichen Sitzung auf und diskutierten weiter.
Nachmittags folgten weitere Seminare, und am frühen Abend ging es zum Lesen in die Bibliothek oder zum Tippen einer Arbeit in den Computerraum. Danach fuhr Sarah mit dem Bus direkt zum Restaurant und rackerte bis um zehn als Serviererin. Jeden Abend um elf kam zuverlässig Jamies Anruf. Sie redeten ein paar Minuten, und hinterher lernte Sarah noch eine Weile. Meistens schaffte sie es gegen drei ins Bett und schlief mit der Morgendämmerung ein. An den Wochenenden schlief und lernte sie nur, ohne sich mit jemandem zu treffen.
Eigentlich hatte sie also gar keine Zeit für Jamie, dennoch empfand sie seine dauernde Abwesenheit als beunruhigend und quälend. Ab der dritten Woche passierte es ihr, dass sie sich beim Lesen nicht mehr auf den Text konzentrieren konnte und bei Vorlesungen in Tagträume verfiel. Wahrscheinlich verlor sie mit den Gedanken an ihn mehr Zeit, als es der Fall gewesen wäre, wenn sie sich in Wirklichkeit eine Stunde oder so mit ihm getroffen hätte. Nicht dass sie ihm so etwas erzählen durfte, sonst hätte sie sich wieder mit seiner Gefühlsduselei herumschlagen müssen. Stattdessen ging sie an drei Abenden hintereinander nicht ans Telefon, und am dritten Abend stand er um vierzehn Minuten nach Mitternacht in Hemd und Krawatte und nach Babypuder stinkend vor ihrer Tür.
Sarah war seit Wochen nicht berührt worden. Daher war sie den Tränen nah, als Jamie ihren Hals küsste, daher fand sie den Sex fast qualvoll in seiner Intensität, und daher musste sie sich auf die Zunge beißen, um nicht etwas Dummes zu sagen, als sie danach in seinen Armen lag. »Ich glaube, du hast mich wirklich vermisst«, sagte er.
»Ach was«, war ihre Antwort.
Als Bianca einen Monat alt war, heirateten Jamie und Shelley. Es wurde aber nicht die ursprünglich geplante glanzvolle Fete, da das Geld fehlte und das glückliche Paar entsetzlich erschöpft war. Shelley trug ein hellrosa Seidenkleid und Blumen im Haar. Sarah fand sie recht hübsch. Jamie strahlte, doch meistens galt das Lächeln seiner Tochter, die die ganze Feier in den Armen ihrer Mutter verschlief. Der Empfang fand im Gemeindesaal statt, mit Fingerfood und Fasswein, die die Eltern der Braut beigesteuert, und einer Musicbox, die die Eltern des Bräutigams gemietet hatten.
Als Shelley während der Veranstaltung hinausging, um das Kind zu stillen, zog Jamie Sarah in die Vorratskammer.
»Für dich.« Er reichte ihr ein kleines schwarzes Etui.
Drinnen befand sich ein Goldring. Sarah starrte ihn nur an.
Jamie zog den Ring heraus, nahm Sarahs rechte Hand und schob ihn ihr auf den Finger. »Da, sieht wirklich wunderschön aus.«
»Hast du zwei zum Preis von einem gekriegt, oder was?«
Sarah bereute ihre Bemerkung sofort. Sie betastete den dicken goldenen Ring. »Wofür ist der?«
»Ich wollte dir zeigen, dass sich an meinen Gefühlen zu dir nichts geändert hat, auch wenn ich jetzt verheiratet bin.«
Sarah spürte einen Würgereiz. »Das weiß ich doch. Da brauchst du mir doch keinen Ehering schenken. Der fällt doch auf.«
Jamie küsste ihre Hand. »An der rechten Hand fällt er gar nicht auf. Und außerdem ist es gar kein Ehering, es ist ein
…« Er
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