Zaehme mich
Lebens ohne die Frau verbringen muss, die ich liebe.«
»Oh.«
Sie hatte sich immer danach gesehnt, dass Mr. Carr zu ihr zurückkehren und ihr gestehen würde, wie verzweifelt er über die Trennung von ihr war und wie sehr er sie jetzt und für alle Zeiten an seiner Seite brauchte. Sie hatte sich danach gesehnt, dass er die Worte sagen würde, die sie von so vielen bedeutungslosen Männern gehört hatte. Und jetzt brachte sie nur ein Oh heraus.
Er fragte nach ihrer Adresse, fuhr sie zu ihrer Wohnung, begleitete sie zur Tür und lehnte ab, als sie ihn hereinbat. Er küsste sie nicht, sondern legte ihr nur lange die Hand ans Gesicht.
»Ich möchte morgen Abend mit dir ausgehen.«
»Ich muss arbeiten.«
Daniel zog die Hand zurück. »Um sieben hol ich dich ab.«
»Ich muss wirklich …«
Er war bereits auf dem Weg zurück zum Auto. »Um sieben«, rief er ihr über die Schulter zu.
Acht Jahre lang hatte Sarah mit einer Leere gelebt, die nicht berührt werden konnte. Weder von Männern noch von Alkohol noch von Drogen noch von Wissen noch von Hoffnung. Sie hatte so lange mit ihr gelebt, dass sie zu einem Wesenszug geworden war: ihre Schärfe, ihre Härte, ihre Fähigkeit, intim und dennoch distanziert, leidenschaftlich und dennoch beherrscht zu sein. Sie hatte ihr Leben um das von Daniel Carr hinterlassene Loch im Zentrum ihrer Welt errichtet. Und auf einmal hatte sich diese Leere gefüllt. Bis zum Rand und darüber hinaus.
Jetzt hatte sich eine neue Leere gebildet, sie lag nicht mehr in ihr, sondern um sie herum. Zum ersten Mal seit Jahren fühlte sie sich körperlich verletzlich. Ihre winzige Wohnung war wie eine Höhle, ihr quietschendes Bett war gigantisch, und ihr Sofa schien sie zu verschlingen, wenn sie sich darauf ausruhen wollte. Nirgends fand sie mehr Trost und Geborgenheit. Jeder Raum kam ihr riesig vor, weil nicht er ihn ausfüllte. Sie sehnte sich danach, an seiner Hand zu wachsen. Hoffentlich war es bald so weit.
TEIL DREI
1
Sarah meldete sich krank und stand schon um halb sieben vor ihrem Haus. Eine Viertelstunde später kam Daniel.
Abgesehen von der höflichen Frage, wie ihr Tag gewesen war, wechselte er während der Fahrt kein einziges Wort mit ihr. Das Schweigen machte ihr nichts aus; im Gegenteil, es gab ihr die Gelegenheit, über seine Schenkel nachzusinnen. Sarah wusste, dass sich unter der modisch ausgebeulten, beigen Leinenhose die Muskeln an- und entspannten, wenn er bremste oder anfuhr. Sie wusste, dass seine blonde, lockige Beinbehaarung nach oben hin dünner wurde und innen auf halber Höhe seiner Oberschenkel ganz aufhörte. Die Haut dort war blass und babyweich und würde auf das Kitzeln ihrer Zunge mit einer Gänsehaut reagieren. Daniel brauchte zehn Minuten, um nach Parramatta zu fahren und einen Parkplatz zu finden. In dieser Zeit schaffte es Sarah, sich in eine stumme Ekstase hineinzusteigern.
»Ist mexikanisch okay?« Er legte ihr die Hand auf den unteren Rücken und führte sie in eine Seitenstraße.
»Wunderbar«, antwortete sie. Als ob das eine Rolle spielte.
Das Restaurant war dunkel und halb leer. Sie saßen an einem Ecktisch direkt unter dem Foto eines Chihuahuas mit Sombrero. Daniel bestellte einen Krug Sangria und ein Glas Scotch. Dann wandte er sich stirnrunzelnd an Sarah.
»Ist diese ganze Kriegsbemalung für mich?«
»Ja, ich glaube schon.«
»Ohne das Zeug siehst du besser aus. Make-up ist nur was für hässliche Frauen, schöne Frauen haben so was nicht nötig.«
Mit einem Achselzucken griff Sarah nach der Speisekarte, doch sobald sie bestellt hatten, ging sie zur Damentoilette und wischte sich den Lippenstift herunter.
Als sie wieder am Tisch saß, legte er ihr einen Finger an die Lippen und lächelte.
»Also«, begann Sarah, während sie in ihrem Essen herumstocherten, »wo warst du die ganzen Jahre über?«
»Ah, das ist eine große Frage. Die kurze Antwort lautet, ich war oben im Norden.« Daniel nahm einen Schluck von seinem Whiskey. War er nervös, oder trank er zum Abendessen immer Scotch mit Wasser? Für Sarah war es fast ein körperlicher Schmerz, dass sie so viel über ihn nicht wusste.
»Warum gibst du mir nicht die lange Antwort?«
Wieder nippte er an seinem Glas. »Okay. Ich bin nach Brisbane gezogen, habe an einer entsetzlich schlecht finanzierten städtischen Schule Englisch und Neuere Geschichte unterrichtet, habe meine Doktorarbeit abgeschlossen, Migrantenkindern Nachhilfe erteilt, in einer Kirche eine Männerandachtsgruppe geleitet,
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