Zaehme mich
saugt und sich krümmt, und wie sich dir gleichzeitig Algen um die Knöchel winden. Und die ganze Zeit strömt dir das Wasser in den Hals und in die Lunge. Du wirst ertrinken, und du bist froh, du hoffst, dass es nicht mehr lange dauert.«
Sarah war blind und stumm. In der ganzen Welt gab es nur noch Daniels Stimme, das krachende Peitschen von Fangarmen im Wasser und das Gefühl von schleimigen Reptilien, die sich auf ihr drängten. Die Tentakel waren in ihr, und sie sagte Daniel, was sie spürte. Sie erzählte ihm, wie es an ihr saugte und sich in ihr wand und wie das Wasser in sie sprudelte. Auch er sprudelte jetzt, wie er ihr erklärte, und sie sagte: Ich ertrinke.
Dann war alles still. Langsam wurde Sarahs Blick wieder klar, und auch ihr Kopf. Es machte sie verlegen, dass sie mitten in der Nacht allein in der Küche war, das Telefonkabel um die Taille geschlungen und die Hand zwischen die Schenkel geklemmt.
»Daniel?« Sie hörte ihn atmen, doch es kam ihr vor wie Stunden, bis er etwas sagte.
»Du bist gekommen, oder?«
»Ja. Du nicht?«
»Das hat dich also erregt. Meerestiere?«
Sarah zögerte. Sie wusste nicht, wie sie seinen Ton deuten sollte. Wollte er sie aufziehen?
»Ist dir das so peinlich, dass du nicht antwortest?« Er klang wütend.
» Du hast mich erregt. Warum bist du auf einmal so komisch?«
»Was dich erregt hat, war die Vorstellung, einen Fisch zu ficken. Das ist widerlich. Ich glaube, ich muss mich übergeben.«
Sarah wischte sich die Hand an ihrem T-Shirt ab. »Hör auf damit. Du machst mir Schuldgefühle.«
»Wirklich, Sarah. Ich muss gleich kotzen. Du bist so ein perverses kleines Flittchen.«
»Hey, du hast dir doch einen runtergeholt! Ich hab dich genau gehört …«
»Macht dir so was Spaß? Macht es dir Spaß, wenn dir Männer lebende Tiere in die Fotze schieben und …«
Sarah hängte auf und weinte sich die Augen aus.
Am nächsten Morgen lag ein Umschlag unter ihrer Tür.
Darin fand sie ein handgeschriebenes Gedicht:
Der Köder
von JOHN DONNE
Komm, sei mein Lieb und leb mit mir, Und neue Freuden kosten wir
An des Kristallbachs Uferbank
Mit Angelhaken silberblank.
Leis flüsternd fließt der Bach davon, Mehr wärmt dein Blick ihn als die Sonn.
Verliebte Fischlein bleiben stehn
Und wolln von dir verführt sich sehn.
Schwimmst du in dem belebten Bad,
Schwimmt jeder Fisch auf nassem Pfad, Verliebt auf dich zu, fing dich gern, Du aber hältst dich fern.
Bist Mond- und Sonnenblick du leid, Verdunkelst du sie alle beid,
Will ich dich sehn, so brauche ich
Ihr Licht nicht, denn ich hab ja dich.
Lass andere angelnd Kälte leiden,
Den Fuß an Schilf und Muscheln schneiden, Heimtückisch arme Fischlein hetzen
Mit Würgegarn und Gitternetzen;
Aus glitschigem Nest lass grobe Hand Schlafende Fischlein zerrn an Land, Kunstfliegen mit perfidem Schwirrn
Der armen Fische Blick verwirrn –
Du, du bedarfst nicht solcher List, Da du dein eigener Köder bist.
Der Fisch, der solchem Fang entwich, War schlauer, ach, beiweit als ich.
Sie kannte das Gedicht nicht, wusste aber, dass der erste Vers von Marlowe stammte. Es war also eine Parodie, aber warum hatte ihr Daniel das gegeben? Um das Auf und Ab ihrer Liebe zu parodieren, so wie Donne Marlowe parodiert hatte? Sie las es mehrmals, bis sie es auswendig konnte. In dem Text verbarg sich eine Nachricht, die sie noch nicht verstanden hatte. Natürlich gab es die offensichtliche Anspielung auf ihr Telefongespräch, und vielleicht hatte er ihr nur gestehen wollen, dass auch er die Erotik des Meeres erkannt hatte. Eine Entschuldigung also. Aber begriff er sich als den Dichter und sie als den Köder, der ihn gefangen hatte, während ihm andere, klügere Männer entronnen waren? Sah er sich als Narr?
Da du dein eigener Köder bist: Hieß das, er fand sie von Natur aus verführerisch, während andere Frauen angelnd Kälte leiden mussten? Oder wollte Daniel auf den Glanz und die Leidenschaft hinaus, die sich hinter Alltagsdingen verbergen konnten? Auf die Verwendung metaphysischer Ideen zur Verdeutlichung dieser grundlegendsten aller menschlichen Erfahrungen? Es fehlte auch nicht an Bildern der Gewalt: schneidende Muscheln und Würgegarn. Sie hatte sich in Daniels Netzen verfangen, ohne dass er selbst ein Wort gesagt hatte.
Sie rief ihn an und legte los. Wenn er sich entschuldigen wollte, sollte er das tun, und wenn er etwas anderes meinte, sollte er einfach mit der Sprache herausrücken, statt sie vor Rätsel zu stellen.
»Ich
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