Zähmung der Wildkatze
sie ihn an. Dieser Kerl besaß nicht einmal die Kinderstube, zu antworten und fiel ihr einfach ins Wort. Als Stuart sie musterte, während er einen Schluck Weißwein die Kehle hinunterfließen ließ, flackerte ein Schmunzeln in seinen Augen. Pure Absicht stand ihm ins Gesicht geschrieben. Marie kochte vor Wut, kämpfte gegen den Zorn in ihrem Inneren, der ein Ventil suchte. Ein tiefer Atemzug füllte ihre Lungen, während Simon und Erica hemmungslos von Italien schwärmten. IhreWorte rückten in den Hintergrund. Marie umklammerte das Weinglas so fest, dass es drohte, in ihrer Hand zu zerspringen. Stuart entschuldigte sich und verschwand im Herrenwaschraum.
„Geht es dir gut, Marie? Du siehst ein bisschen blass aus?“ Ericas Berührung an Maries Unterarm holte sie zurück ins Jetzt.
„Ich … ach, es war einfach ein langer Tag.“ Marie verabschiedete sich mit vorgeschobenen Kopfschmerzen von den beiden, bevor Stuart zurückkehrte. Beim Hinausgehen zog sie den Mantel über und steckte die Hände tief in die Taschen. Sie ertastete ein Stück Papier, zog es hervor und faltete es auseinander.
Es ist erregend, wie gut dir Demütigung steht. S. P
.
„Scheiße!“
Sie warf einen Blick durch die Glasfront des Restaurants. Stuart saß wieder am Tisch und amüsierte sich prächtig. Dafür gab es nicht genügend Schimpfwörter in ihrem Vokabular, um zu beschreiben, was ihr durch den Sinn ging. Sie wollte ihn schlagen, ihn anschreien, ihn treten und …
tief durchatmen, Marie
. Es half nicht. War das die Rache für die Ohrfeigen? Marie seufzte und ermahnte sich, dass sie dem zu viel Bedeutung beimaß.
Wenn er lacht, sieht er verdammt hinreißend aus … Mist!
Wie so oft, wenn die Dinge in ihrem Leben drohten, aus den Fugen zu geraten, fuhr sie zum House of Joe. Das Pflegeheim besaß zwar Besuchszeiten, doch bei Marie drückte das Pflegepersonal ein Auge zu. Ihr Vater lag bereits im Bett und starrte an die gegenüberliegende Wand auf das Familienfoto. Marie setzte sich auf die Bettkante, legte ihren Kopf an seine Schulter.
Er nahm sie in den Arm. „Du kommst spät, kleiner Keks. Hatten wir nicht vereinbart, dass du um neun zu Hause bist?“
„Tut mir leid Daddy.“
„Du weißt, ich mache mir Sorgen, wenn mein kleines Mädchen so spät noch unterwegs ist. Aber deine Mutter muss davon nichts erfahren. Es ist schwer, fünfzehn zu sein, aber wir können dir die Ausgehzeiten nicht verlängern.“
„Ich hätte anrufen sollen.“
Marie schluckte an den aufsteigenden Tränen, wünschte sich in diese Zeit zurück, als alles noch gut war.
Stuart leerte sein Weißweinglas und schmunzelte, während Erica Anekdoten aus ihrer Jugend erzählte. Seine Aufmerksamkeit kehrte erst zum Tisch zurück, als Maries Name fiel. Simon schüttelte den Kopf und lachte.
„Liebes, ich frage mich manchmal ernsthaft, wie du und Marie eigentlichso enge Freunde geworden seid. Sie ist das absolute Gegenteil von dir. Nimm es mir nicht übel, aber sie ist wirklich eine kleine Nervensäge.“
Erica lachte nicht, sie senkte ihren Blick und drehte das Weinglas nachdenklich auf dem Platzdeckchen vor sich. „Sie war nicht immer so.“
Simons Amüsiertheit verblasste und auch Stuart sah die Frau seines besten Freundes an. Sie lächelte gedankenverloren und wirkte traurig.
„Sie war schon immer direkt und ehrlich. Ich kenne sie seit der Kindergartenzeit und ihre Fröhlichkeit hat jeden angesteckt. Marie wollte immer Anwältin werden, für Menschenrechte kämpfen und sich einen Stand in der Gesellschaft erarbeiten. Der kleine Punk wollte wirklich die Welt verändern.“ Ihr Gesicht strahlte bei den Erinnerungen. „Ich habe sie immer um ihre Noten beneidet. Das Lernen ist ihr so leichtgefallen.“
Das Strahlen verschwand langsam, als sie die beiden Männer abwechselnd ansah.
„Sie hätte sich das College aussuchen können, aber das Leben ist einfach nicht fair.“
Simon ergriff die Hand seiner Frau und drückte sie sanft.
„Im Seniorjahr ist alles so schnell hintereinander passiert, dass ich mich heute noch frage, wie sie das wegstecken konnte. Erst der tödliche Unfall ihres Bruders und kaum, dass er beerdigt war, kam der nächste Schlag. Ihr Vater wurde krank und die Mutter ist deswegen abgehauen und hat die beiden allein gelassen.“ Erica zupfte an der Tischdecke und seufzte.
„Mr. Lancaster war nicht mehr in der Lage, zu arbeiten, also hat Marie dafür sorgen müssen, dass Geld ins Haus kam. Während Mrs. Lancaster irgendwo den Herrn
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