Zähmung der Wildkatze
lobpreist und es ihr egal ist, dass sie ihre Familie ganz unchristlich im Stich gelassen hat. Ich kann mir kaum vorstellen, was für eine Enttäuschung diese Frau für Marie gewesen sein muss. Sie hält sie für eine verdammte Heuchlerin und ich gebe ihr Recht. Marie wäre sicher eine tolle Anwältin geworden. Ihr Gerechtigkeitssinn war so ausgeprägt, dass sie sogar nicht vor Prügeleien zurückschreckte. Sie hat im Kindergarten mal einen Jungen vermöbelt, weil er mir einen Schokoriegel aus der Tasche geklaut hat. Er wollte nicht zugeben, dass er es getan hat. Marie hat ihn dann dazu gezwungen.“
Sie lachte kurz auf und schüttelte ihren Kopf.
„Das alles hat Spuren hinterlassen und die dicke Mauer um sie herum kann selbst ich manchmal nicht durchbrechen. Aber ich kenne sie und weiß, wer sie wirklich ist. Du magst das vielleicht nicht verstehen, aber du kennst sie auch nicht. Marie ist ein toller Mensch. Sie ist vielleicht schwierig, aufbrausend, impulsiv und zickig, aber wer hinter diesen Stachelpanzer blickt, versteht, dass das alles nicht echt ist.“ Erica erwiderte den Händedruck ihres Ehemannes. „Sie wurde einfach zu oft enttäuscht, besondersvon Menschen, die ihr wichtig waren. Mit gerade einmal achtzehn den Traum von der Zukunft zu begraben und sich um den kranken Vater zu kümmern, ist hart. Und Marie glaubt, sie muss sich ebenso unantastbar und hart nach außen zeigen.“
Stuart spürte ihren Blick auf sich gerichtet, reagierte jedoch nicht. Er hing seinen Gedanken nach, ließ das Gehörte in seinem Verstand arbeiten.
„Wie wäre es mit Nachtisch?“
Um die Stimmung aufzulockern, sah Simon fragend in die kleine Runde. Stuart winkte lächelnd ab, während Erica noch überlegte, sich dann aber doch verführen ließ.
5
„Er hat mich nicht eines Blickes gewürdigt, dieser verdammte Mistkerl.“
Seit einer geschlagenen Stunde schimpfte Marie leidenschaftlich und hemmungslos am Telefon über Stuarts Verhalten beim Dinner. Marie war so außer sich, das Erica am anderen Ende der Leitung kaum zu Wort kam. Sie hatte ihn ignorieren wollen, ihn spüren lassen, dass sie die Fäden in der Hand hielt und nicht er, aber das war kläglich gescheitert. Den Zettel in ihrer Manteltasche erwähnte sie mit keiner Silbe. Abermals hatte Stuart das Spiel gegen sie gewendet und das störte sie gewaltig.
„Das ist ja wohl die Höhe. Wo hat er denn Manieren gelernt? Er besitzt nicht einmal den Anstand, guten Tag zu sagen. Ich dachte, er wäre wie Simon ebenfalls Italiener und die gelten doch als Muttersöhnchen, die den Respekt mit der Muttermilch einsaugen. Er ist mir egal.“
„Wenn er dir so egal ist, Liebes, warum regst du dich dann künstlich auf?“
Schweigen. Marie seufzte laut und ließ sich in ihren weichen Sessel fallen.
Weil er mir egal sein sollte. Weil er mich zum Wahnsinn treibt. Weil er so ein verdammter Spieler ist. Verdammt!
„Weil …“
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Besser noch, ihr angeknackstes Ego verbot ihr schlichtweg, laut auszusprechen, was sie wirklich dachte. Sie hätte zugeben müssen, dass er ihr eine Heidenangst einjagte, weil sie sich ihm gegenüber so schutzlos vorkam. Das durfte sie nicht zulassen. Dass seine Art sie dazu brachte, sich in Rage aufzulösen, missfiel ihr weitaus mehr.
„Sei ehrlich, irgendwas an ihm scheint dich mächtig anzuziehen, sonst hätte er es nicht geschafft, dich so aus der Fassung zu bringen, indem er dich schlichtweg ignoriert. Oder liegt es daran, dass er dich in deinem Ego gekränkt hat? Marie, Marie, Marie … Lass dir eins sagen: Stuart ist kein Mann, mit dem du deine Aussiebspielchen spielen kannst. Dabei kannst du nur verlieren.“
Zorn legte sich in feinen Falten auf ihre Stirn.
Auch du, Brutus? Verräterin!
Erica kannte sie besser als sie sich manchmal gewünscht hätte.
„Ich bin nicht in meinem Ego gekränkt, wie kommst du auf so was?“
„Oh, bitte, wir beide wissen, dass du gern mit den Schmuddelkindern spielst. Du pickst dir die oberflächlichen Machos aus dem Dunstkreis, der um dich herumschwirrt und spielst mit ihnen. Entweder fallen sie wie Dominosteinchen um oder du bringst sie dazu, schnellstens das Weite zu suchen. Jetzt dreht einer den Spieß um und es trifft dich tief ins Mark. Ich kenne dich lange genug, um zu wissen, dass dich das wurmt. Kennst du denSpruch? Jeder findet irgendwann seinen Meister.“
Marie spürte das amüsierte Grinsen ihrer besten Freundin durch den Hörer und knurrte leise. „Das stimmt
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